Ist die Unabhängigkeit des Kosovo rechtens?
22. Juli 2010Die Waffen schweigen schon lange. Doch das Ringen um das Kosovo geht weiter. 1999 vertrieben NATO-Luftangriffe die Serben aus ihrer damaligen Provinz und machten Kriegsverbrechen an der albanischen Bevölkerung ein Ende. Das Gebiet wurde unter UN-Verwaltung gestellt. Am 17. Februar 2008 proklamierte das Parlament in der Hauptstadt Pristina nach dem Ende zäher und unergiebiger Gespräche mit Serbien schließlich die einseitige Unabhängigkeit.
Belgrad strebt neue Verhandlungen an
Belgrad erkennt die Unabhängigkeit nicht an. Auf Betreiben Serbiens bestellte die UN-Vollversammlung im Oktober 2008 ein Rechtsgutachten beim Internationale Gerichtshof in den Haag (IGH), das am Donnerstag (22.07.2010) veröffentlicht wird. Die Regierung in Belgrad hofft, mit Hilfe des Gutachtens bei den Vereinten Nationen eine Resolution durchsetzen zu können, die neue Verhandlungen über den Status des Kosovos verlangt. Die USA und die EU warnen, dass ein solcher Schritt zu einer Konfrontation Serbiens mit Staaten führen würde, die die Unabhängigkeit des Kosovos anerkannt haben. Bislang sind das 69 Staaten, darunter auch Deutschland sowie weitere 21 der 27 EU-Mitgliedstaaten. Rund 120 Länder - unter ihnen Russland, China und Spanien - betrachten das Kosovo jedoch offiziell immer noch als serbische Provinz.
Gesichtsverlust vermeiden
Der nicht bindende Spruch der 15 Richter im Friedenspalast in den Haag wird deshalb mit großer Spannung erwartet. Experten gehen davon aus, dass das wichtigste Rechtsorgan der Vereinten Nationen eine sehr vorsichtige, möglicherweise sogar mehrdeutige Stellungnahme abgeben wird. "Wir erwarten eine Stellungnahme, aus der mit gutem Willen alle Seiten politischen Honig saugen können", sagt ein europäischer Diplomat in Den Haag. "Vermutlich wird sie Serbien teilweise recht geben, aber zugleich deutlich machen, dass am Status quo nicht mehr zu rütteln ist." Damit wäre ein Gesichtsverlust für die Belgrader Führung und ihre Unterstützer ebenso abgewendet wie eine juristisch-politische Blamage für die 69 Länder, die das Kosovo anerkannt haben.
Kein Präzedenzfall
Eines werden die Richter sicherlich vermeiden wollen: einen Präzedenzfall zu schaffen, der andere Minderheiten veranlassen könnte, ebenfalls ihre Unabhängigkeit zu erklären und sich abzuspalten. Das erklärt auch die Unterstützung Belgrads von Russland, China und Spanien: sie haben mit Unabhängigkeitsbestrebungen von Basken, Tibetern oder Kaukasus-Völkern im eigenen Staat zu kämpfen.
Autorin: Pia Gram (dpa, ap, afp)
Redaktion: Thomas Grimmer