Italien nach Sieg über Belgien im Halbfinale
2. Juli 2021Es hätte ein so schöner Abend sein können für die Italiener. Ein 2:1 (2:1)-Sieg gegen das laut FIFA-Weltrangliste beste Team des Planeten, die eigene Serie auf 32 Partien ohne Niederlage ausgebaut, das Halbfinale der Europameisterschaft erreicht - und dabei auch noch begeisternden Fußball gespielt. Wäre da nicht diese vermaledeite 75. Minute gewesen.
Linksverteidiger Leonardo Spinazzola, auch gegen die Belgier wieder einer der Aktivposten der Squadra Azzurra, liegt bitterlich weinend auf dem Rasen des Münchner Stadions und alle - Teamkameraden, Gegner, Trainer und Zuschauer - ahnen: Da ist etwas Schlimmes passiert. Spinazzola, absoluter Leistungstrainer in der bisher brillierenden Mannschaft der Italiener und wahrscheinlich bester Außenverteidiger des gesamten Turniers, war im Laufduell abrupt langsamer geworden, humpelte noch ein paar Schritte, zuletzt hüpfte er nur noch auf einem Bein und zeigte mit fassungslosem Blick an, dass er ausgewechselt werden musste. Erst danach ließ er sich gestützt von einem Mitspieler und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Boden zu sinken. Ein ersten Diagnose nach hatte er sich die linke Achillessehne gerissen, eine monatelange Pause droht dem Mann von der AS Rom.
Ein vorweggenommenes Finale
Vorangegangen war eine fußballerische Demonstration beider Kontrahenten vor 13.000 Zuschauern. Offensiv, taktisch flexibel, mit etlichen Torraumszenen. 13 Minuten dauerte es, bis der Ball erstmals im Netz der Belgier zappelte, aber Leonardo Bonucci hatte bei seinem Abschluss um Zentimeter im Abseits gestanden. In der 31. Minute stand es dann aber tatsächlich 1:0 für die Italiener. Nach einem Freistoß klärten die Belgier nicht konsequent genug, Nicola Barella setzte sich im Strafraum gleich gegen drei Verteidiger durch, um dann überlegt aus acht Metern ins linke untere Eck zu vollenden.
Der Treffer zeigte Wirkung bei den Belgiern: Federico Chiesa hatte zehn Minuten später das 2:0 auf dem Fuß, doch sein Schuss aus 20 Metern verfehlte das Ziel noch knapp. In der 44. Minute machte es Lorenzo Insigne dann besser. Der kleine Flügelstürmer zog von links in die Mitte und schlenzte den Ball aus gut 20 Metern exakt ins rechte Tordreieck. "Wir wissen doch, wie er sich bewegt, da müssen wir früher rauskommen", klagte Belgiens Torwart Thibaut Courtois nach der Partie.
Umstrittener Strafstoß sorgt für den Anschluss
Es erschien wie die Vorentscheidung, doch dann fiel wie aus heiterem Himmel der Anschlusstreffer. Völlig unnötig schubste Giovanni di Lorenzo am linken Strafraumeck den auf die Torauslinie zustürmenden Jeremy Doku, der das Geschenk gerne annahm und zu Boden ging. Schiedsrichter Slavko Vinci aus Slowenien zögerte keinen Augenblick und entschied auf Strafstoß, der VAR focht die harte Bestrafung nicht an. Romelu Lukaku verwandelte den Elfmeter sicher gegen Gianluigi Donnarumma (45.+2).
Auch nach dem Seitenwechsel wogte das Spiel hin und her, Italien hatte leichte Feldvorteile, ohne aber den entscheidenden Treffer zu setzen. "Wir hätten auch noch ein paar Tore mehr schießen können", stellte Italiens Trainer Roberto Mancini später fest. Lukako hatte nach gut einer Stunde den Ausgleich auf dem Fuß, doch Spinazzola rettete auf der Linie und durfte sich dafür von seinen Kameraden feiern lassen.
Jetzt gegen Spanien
Die Italiener mussten bis zur letzten Sekunde zittern, auch weil, so Mancini, Belgien am Ende stärker wurde "und wir ein bisschen müde". Und selbstverständlich, weil man mitbekommen hatte, wie Spinazzola kurz zuvor immer noch weinend und mit den Händen vor dem Gesicht auf der Trage vom Platz gebracht worden war. Dennoch, so der Erfolgstrainer, "haben wir verdient gewonnen, die Jungs waren außergewöhnlich, richtig gut."
Nach diesem für viele vorweggenommenen Endspiel kommt es nun am kommenden Dienstag in London zum Aufeinandertreffen zweier großer Fußballnationen: Die Italiener spielen gegen Spanien, das sich im Elfmeterschießen gegen die Schweiz durchgesetzt hatte. Der bedauernswerte Leonardo Spinazzola wird dann nicht dabei sein können. "Das ist ein schwerer Verlust für uns", sagte Torschütze Lorenzo Insigne. "Wir versuchen jetzt, ganz weit zu kommen - für ihn. Er war so wichtig für diese Mannschaft."