Parlament im Wartemodus
17. November 2017Wenn sich in diesen Tagen eine leichte Staubschicht über den Plenarsaal des Bundestags legt, dann ist das auch eine Folge der langwierigen Regierungsbildung. Seit der Bundestagswahl ist das Parlament genau einmal zusammengetreten: zu seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober. An diesem Tag nahmen die 709 Abgeordneten erstmals auf den blauen Sesseln Platz, machten Selfies und wählten das Bundestags-Urgestein Wolfgang Schäuble zum neuen Parlamentspräsidenten. Dann gingen sie wieder auseinander und trafen sich nur noch in den Fraktionen, aber nicht mehr zu gemeinsamer Arbeit im Plenum.
Seither hängt der Bundesadler recht einsam an der Wand des Saals, in dem eigentlich viel zu tun wäre. So müssen nicht weniger als sieben Auslandseinsätze der Bundeswehr verlängert werden. Das geht nicht ohne die Zustimmung des Parlaments. Die Angelegenheit duldet also keinen Aufschub, aber noch ist der Bundestag nicht voll arbeitsfähig, denn noch hat er keine Fachausschüsse. Das sind die Gremien, die den Löwenanteil der parlamentarischen Arbeit machen. Sie beraten über Gesetzentwürfe und steuern die Arbeit des Parlaments. Im Fall der Bundeswehr-Einsätze wäre der Verteidigungsausschuss am Zug.
Warum aber dümpelt das Parlament so lange ohne Ausschüsse vor sich hin? Schließlich sind die Abgeordneten qua Verfassung die gewählten Vertreter des ganzen Volkes und nicht der verlängerte Arm der Regierung. Sie sind nicht an Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Trotzdem hat es mit der schleppenden Regierungsbildung zu tun, dass der Bundestag noch nicht voll arbeitsfähig ist: Die Mehrheit der Abgeordneten will abwarten, wer welches Ministeramt bekommt und wie die neue Regierung die Ministerien zuschneidet, wo sie also Themengebiete wie "Digitales" "Zuwanderung" oder "Energie" einordnet. Denn in der Regel spiegeln die mehr als 20 Ausschüsse den Zuschnitt der Ministerien wider, und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: So lange die neue Regierung noch nicht steht, fehlt dem Bundestag sozusagen die Gebrauchsanleitung, um die Ausschüsse passgenau zusammenzustellen.
Ein Ausschuss für alle Fälle
Die unproduktive Zeit des Wartens will der Bundestag nun mit einer Art "Super-Ausschuss" überbrücken, der am kommenden Dienstag eingesetzt werden wird. Dann tritt das Plenum erstmals seit seiner konstituierenden Sitzung wieder zusammen. Dieser sogenannte "Hauptausschuss" soll 47 Mitglieder aus allen Fraktionen haben und dringliche Vorlagen beraten - etwa die Verlängerung der Bundeswehr-Einsätze im Nordirak, in Afghanistan und in Mali.
Nach der letzten Wahl 2013 war der Bundestag in einer ähnlichen Situation: CDU/CSU und SPD brauchten so lange für ihre Koalitionsverhandlungen, dass das Parlament zum ersten Mal in seiner Geschichte einen für alle Themen zuständigen "Super-Ausschuss" einsetzte. Bei früheren Wahlen ging es bedeutend schneller mit der Regierungsbildung, so dass sich das Problem nicht stellte.
"Nicht in Geiselhaft nehmen"
Während alle anderen Fraktionen sich für dieses Provisorium erwärmen können, zieht die Linke dagegen zu Felde: Sie hatte gleich in der konstituierenden Sitzung den Antrag gestellt, die vier wichtigsten Fachausschüsse sofort einzusetzen, darunter den Verteidigungsausschuss und den Auswärtigen Ausschuss. "Das hat nichts mit Koalitionsverhandlungen zu tun. Der Bundestag ist gewählt. Wir sollten mit der Arbeit beginnen!", hatte Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, an seine Kollegen appelliert. Die Jamaika-Anwärter CDU, CSU, FDP und Grüne könnten den Bundestag nicht "monatelang in Geiselhaft nehmen", bis sie ihre Befindlichkeiten gelöst hätten. Die Wähler hätten einen Anspruch darauf, dass das Parlament arbeite, argumentierte die Linksfraktion, die sich mit ihrem Antrag aber nicht durchsetzen konnte.
"Das Herz der Demokratie"
Dabei hatte sie in der Sache einen einflussreichen Fürsprecher: In seiner Abschiedsrede hatte der langjährige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Abgeordneten ermahnt, ihre Rechte als Volksvertreter selbstbewusst auszuüben, auch gegenüber der Regierung. Der Bundestag sei einflussreicher als die meisten Parlamente auf diesem Globus, daher bestehe für Minderwertigkeitskomplexe kein Anlass. Lammerts Resümee: "Der Deutsche Bundestag ist nicht immer so gut, wie er sein könnte und vielleicht auch sein sollte." Dabei schlage hier das Herz der Demokratie.