"Den Palästinensern eine Perspektive bieten"
18. März 2015Deutsche Welle: Israels Premier Benjamin Netanjahu steht wahrscheinlich vor seiner vierten Amtszeit, denn seine Likud-Partei stellt in der neuen Knesset abermals die größte Fraktion. Mit lediglich 30 Mandaten bei insgesamt 120 Parlamentssitzen braucht er jedoch Koalitionspartner. Mit was für einer israelischen Regierung werden wir es künftig zu tun haben?
Margret Johannsen: Wir müssen mit einer verhältnismäßig schwachen Regierung rechnen, weil es eine Koalitionsregierung ist. Benjamin Netanjahu wird auf seine Koalitionspartner, und das werden Rechtsnationale und Religiöse sein, Rücksicht nehmen müssen. Das war aber eigentlich immer so in der israelischen Geschichte. Es gab nie die Alleinregierung einer Partei, es gab immer Koalitionen. Darum waren sie auch immer kompliziert, darum waren auch immer die Perioden zwischen den Regierungen kürzer als in Verfassung vorgesehen.
Welche Rolle spielt das arabische Parteienbündnis - nach Likud und zionistischer Union die dritte Kraft in der Knesset?
Der arabische Block wird Opposition machen. Dass der arabische Block so viele Abgeordnete stellt und dass vielleicht sogar eine Frau die Fraktion führen wird, ist positiv zu bewerten. Die arabischen Israelis haben in der Vergangenheit mehr oder weniger resigniert, was ihre Repräsentanz in der israelischen Politik angeht. Weil jetzt aber die Chance bestand, einen Block zu bilden und ins Parlament einzuziehen, haben ihn doch sehr viele Menschen gewählt. Ich finde es positiv, dass der arabische Block eine kritische und konstruktive Rolle in der israelischen Innenpolitik spielen kann.
Was bedeutet eine vierte Amtszeit Netanjahus für Israels Innen- und Außenpolitik?
Innenpolitisch sind vor allem die horrend hohen Lebenshaltungskosten und Mieten ein Thema. Die bisherige Wirtschaftspolitik der Netanjahu-Regierung, so wie auch vieler Regierungen vor ihr, ist eine neoliberale Politik. Dadurch öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. Im Jahr 2011 führte das zu großen Protesten, die aber eingeschlafen sind. Damals ist es nicht gelungen, eine der wesentlichen Ursachen für diese hohen Lebenshaltungskosten zu benennen, nämlich die Besatzung. Die Besatzung der palästinensischen Gebiete ist teuer. Es werden die Siedler im besetzten Land beschützt, wo sie privilegiert mit niedrigen Mieten leben können. Das ist nie thematisiert worden, weil man keine Zwietracht zwischen den Demonstrierenden säen wollte. Für Israels Innenpolitik sehe ich wenig Veränderung.
Außenpolitisch gilt das leider auch. Die Verhandlungen zwischen den Israelis und Palästinensern sind abgebrochen worden. Es gab keine weiteren Annäherungen. Kürzlich hat Netanjahu erklärt, er wolle überhaupt keinen palästinensischen Staat. Die Palästinenser werden also ihren eigenen Weg über die Vereinten Nationen gehen müssen, um einen Staat, der auch in der UNO als vollwertiges Mitglied aufgenommen wird, zu bilden. Bislang haben 135 Staaten Palästina als Staat anerkannt. Dann gibt es noch ein drittes Thema, den Iran. Auf diesem Schauplatz gibt es einen Dissens zwischen den USA und Israel. Das wird interessant sein, das Thema zu beobachten.
Welche Rolle fällt dann der EU zu?
Die Europäische Union hat Bedeutung für Israel. Israel exportiert viele Waren in die Länder der EU. Wenn die EU ihren eigenen Rechtsstandpunkt ernst nimmt, dem zufolge die besetzten Gebiete nicht zu Israel gehören, dann dürften auch keine Produkte aus den israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten zollfrei in die EU eingeführt werden. Die EU könnte auch dafür sorgen, dass Waren, die aus den besetzten Gebieten auf den europäischen Markt kommen, mit Etiketten gekennzeichnet werden. Mit einem Hinweis, in welcher israelischen Siedlung das Produkt hergestellt wurde, kann der mündige Konsument sehen, was er kauft. So kann jeder selbst entscheiden, ob er die Siedlungspolitik Israels unterstützen will oder nicht. Das kann die EU durchsetzen, am besten schnell und entschlossen.
Kann Deutschland, kann Bundeskanzlerin Angela Merkel etwas direkt oder indirekt zur Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis beitragen?
Deutschland hat eine Sonderbeziehung zu Israel, die man nicht wegdiskutieren kann. Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin hinter verschlossenen Türen die Siedlungspolitik scharf kritisiert. Auch öffentlich artikuliert sie immer wieder den Rechtsstandpunkt, dass das Westjordanland und der Gazastreifen nicht zu Israel gehören, aber mit leisen Tönen. Ich finde das auch angemessen. Dennoch kann Deutschland Palästina anerkennen. Es gibt in der Europäischen Union eine Reihe von Staaten, die Palästina als Staat anerkannt haben und das ist eine ehrenwerte Gesellschaft. Ich finde, es wäre ein gutes Zeichen und sinnvoll für die Beilegung dieses Konfliktes, wenn den Palästinensern eine Perspektive geboten würde, als Staat anerkannt zu sein und dann auf gleicher Augenhöhe mit Israel zu verhandeln.
Margret Johannsen ist Konfliktforscherin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Sie arbeitet seit Jahren zum Nahost-Konflikt und hat mehrfach die Region bereist. Johannsen ist Mitautorin des Friedensgutachtens, das jährlich von führenden deutschen Friedensforschungsinstituten gemeinsam herausgegeben wird.
Das Interview führte Alexander Drechsel.