Streit um neue EU-Kommission
17. September 2014"Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa!" So hieß es früher spöttisch über abgehalfterte Politiker aus den EU-Mitgliedsstaaten, die in die europäischen Institutionen abgeschoben wurden, weil sie angeblich in Brüssel nicht mehr viel anstellen konnten. Der Spruch hat in dieser Form nie gestimmt, heute noch viel weniger als früher. Das gilt für Europaabgeordnete und noch mehr für Kommissare. Die Mitglieder der Kommission werden von ihren jeweiligen Ländern nominiert, der Kommissionspräsident hat keinen Einfluss darauf. Aber bevor die Kommissare ihre Ämter antreten, müssen sie sich in den entsprechenden Fachausschüssen des Europaparlaments den oft sehr kritischen Fragen der Abgeordneten stellen.
So geriet 2004 der Italiener Rocco Buttiglione gehörig unter Beschuss, weil er zuvor mit Äußerungen aufgefallen war, die viele als frauen- und schwulenfeindlich empfanden. Und 2009 wurde die Bulgarin Rumjana Schelewa wegen angeblich unvollständig angegebener Nebeneinkünfte angegriffen. Das Parlament kann zwar nicht einzelne Kommissare zurückweisen, sondern nur die gesamte Kommission. Aber allein die Drohung reichte in beiden Fällen, dass die kritisierten Kommissare ausgetauscht wurden. Anschließend stimmte das Parlament der Kommission zu.
Böcke zu Gärtnern?
Diesmal müssen gleich eine ganze Reihe von Kommissaren damit rechnen, gehörig durch die Mangel gedreht zu werden. Bei einigen ging die Kritik schon bei Junckers Vorstellung seiner Mannschaft in der vergangenen Woche los. So fragten vor allem deutsche Politiker, wieso ausgerechnet der Franzose Pierre Moscovici Währungskommissar werden solle, der doch als Finanzminister seines Landes eine Politik der Rekordverschuldung mitgetragen habe.
Und warum, so eine weitere Kritik, soll mit Jonathan Hill ausgerechnet ein britischer Konservativer für die Bankenregulierung zuständig sein, von ihm sei gerade das Gegenteil von Regulierung zu erwarten. In beiden Fällen liegt ein verbreitetes Gefühl von Bock-zum-Gärtner in der Luft. Nicht ganz so heftig wurde es bei der Italienerin Federica Mogherini, die Außenrepräsentantin werden soll. Über die 41-Jährige klagten viele, sei habe einfach zu wenig außenpolitische Erfahrung.
Der Klimakommmissar hat Ölinteressen
Inzwischen hatten das Parlament und die interessierte Öffentlichkeit ausreichend Zeit, sich eingehend mit den Lebensläufen der einzelnen Kommissare zu beschäftigen - und brachten weitere umstrittene Fakten ans Licht: Der Spanier Miguel Arias Canete soll Kommissar für Energie und Klimaschutz werden. Dafür ist er nach Meinung der Deutschen Umweltstiftung "die schlechtmöglichste Wahl", da er als "Lobbyist der Erdölindustrie" die Energiewende in Europa torpedieren könne. Auch Greenpeace spricht von einem "Interessenskonflikt".
Tatsächlich sitzt Canete im Aufsichtsrat von zwei Erdölfirmen und hielt bisher größere Anteile an beiden Unternehmen. Von den Aktien will er sich jetzt trennen. Doch das allein wird die Kritik nicht verstummen lassen. Canete wird im Parlament "eine sehr schwierige Anhörung haben", prophezeit ihm die Grünenfraktionsvorsitzende Rebecca Harms. Möglicherweise kommt dabei auch Canetes Haltung gegenüber Frauen zur Sprache. Er hatte nach einem Fernsehduell im Europawahlkampf einmal angedeutet, er habe seine sozialistische Rivalin geschont, weil sie eine "hilflose" Frau und er ihr "geistig überlegen" sei. Später musste er sich dafür entschuldigen.
Ungarns schlechtes Image
Bedenken gibt es auch bei Tibor Navracsics. Der bisherige ungarische Außenminister soll das Ressort Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft übernehmen. Als Justizminister hatte Navracsics eine Reform des ungarischen Rechtssystems durchgeführt und dabei die Kompetenzen der Justiz eingeschränkt. Wegen dieser Reform und eines restriktiven Mediengesetzes lag die rechtsnationale ungarische Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban über Jahre im Clinch mit der Kommission, die sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn androhte.
Für Olaf Zimmermann, den Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, hätte Juncker kaum ein unpassenderes Ressort für Navracsics finden können: "Der Mann, der gerade die Bürgerrechte beschränkt, der die Pressefreiheit eingeschränkt hat, der den Justizapparat so umgebaut hat, dass man sich fragen kann, ob es noch mit demokratischen Grundregeln zugeht, der soll jetzt für diese Bereiche in der Kommission verantwortlich sein?", fragte Zimmermann kürzlich in einem Interview im Deutschlandradio Kultur. Zahlreiche Europaabgeordnete teilen diese Kritik.
Parteipolitische Loyalität
Trotzdem ist in allen diesen Fällen unklar, ob das Parlament wirklich eine Ablehnung der Kommission androht. Die Hürden sind hoch: Man muss einem Kommissar normalerweise schon konkrete und schwere Verfehlungen oder mangelnde Eignung nachweisen, um mit diesem Knüppel zu drohen. Ein Gefühl, dieser oder jener passe irgendwie nicht, ist zu wenig. Außerdem geht es im Parlament auch immer um Parteipolitik: Die Abgeordneten der Parteienfamilie, aus der der Kommissar kommt, sind oft aus parteipolitischer Loyalität geneigt, den Kommissar freundlich zu behandeln, selbst wenn sie ihn persönlich ablehnen. Sie stellen dann auch die Kritik gern als Spiel dar, mit dem der politische Gegner punkten will. Auf der anderen Seite gab es vielleicht noch nie so großen Widerstand gegen so viele Kommissare.
Wie der Kampf ausgeht, werden nun die Anhörungen zeigen. Sie sollen vom 29. September an stattfinden und werden sich über Wochen hinziehen. Für jeden der 28 Kommissare sind normalerweise drei Stunden für die Anhörung angesetzt. Die Abstimmung über die gesamte Kommission ist für den 22. Oktober geplant.