Kampf gegen Corona: Impfen wie die Iren
26. August 2021Ein verblichenes Foto an der Wand erinnert noch an die Vor-Corona-Zeit: Die Gaelic-Football-Damenmannschaft von 1998 wacht über den schmalen Raum, in dem sich nun Ger McCormack ihre Kommandozentrale für den Kampf gegen das Virus eingerichtet hat. McCormack ist 66 Jahre alt und hatte sich vom irischen nationalen Gesundheitsdienst HSE gerade erst in den Ruhestand verabschiedet, als sie im Februar angefragt wurde, ob sie zurückkommen und das Impfzentrum am Stadtrand von Navan, einer Kleinstadt eine Autostunde nördlich von Dublin, leiten würde.
Seit Mitte April wird in der umgerüsteten Sporthalle des Sportklubs GAA Simonstown geimpft; zwischenzeitlich über 1000 Personen pro Tag. Weil dabei aber der Parkplatz überfüllt war, sind es inzwischen zwischen 850 und 950. Anfang dieser Woche wurde die 75.000ste Spritze verabreicht.
Irland ist beim Impfen in der Spitzengruppe
Für das eher kleine Impfzentrum ist das eine bedeutende Zahl - so wie das gesamte irische Impfprogramm gerade einige Erfolge sammelt. Ende Juli lag die Quote der vollständig geimpften Erwachsenen erstmals über dem britischen Vergleichswert. "Es gab großen Jubel, als wir sie schlugen", sagt Anthony Staines, Professor für Gesundheitssysteme an der Dublin City University. "Ich weiß, das ist dumm, aber trotzdem empfanden das viele Leute so."
In Irland sind laut Daten des europäischen Seuchenschutzzentrums ECDC inzwischen 85,5 Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft, nur Malta und Island weisen eine noch höhere Quote auf. Die irische Bevölkerung wurde größtenteils nach Alterskohorten geordnet zum Impfen vorgelassen; seit Anfang August können sich nun auch die 12- bis 15-Jährigen online registrieren. Anhand der Terminbuchungen berechnet ein digitales System den Bedarf der Impfzentren an Impfstoff. Das System läuft separat vom restlichen Netzwerk der Gesundheitsbehörde HSE - zum Glück, denn die HSE-Systeme sind nach dem Ransomware-Cyberangriff vom Mai noch immer nicht vollständig wiederhergestellt.
Im Impfzentrum in Navan sieht man an diesem Vormittag hauptsächlich junge Erwachsene. Der 18-jährige Kevin hat heute seine Zweitimpfung bekommen. Gerade hat der Informatik-Student die 15-minütige Beobachtungszeit auf den Stühlen unter dem Basketballkorb abgesessen; das ist vorgeschrieben, falls unmittelbar nach der Impfung etwa allergische Reaktionen auftreten. Als er die Sporthalle in Richtung Parkplatz verlässt, sagt er: "Ich bin wirklich erleichtert. Jetzt kann ich ohne Sorgen zurück ans College gehen. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste wieder Online-Kurse machen. Mir fällt wirklich ein Stein vom Herzen."
Ungebremste Nachfrage nach dem Impfstoff
Die Delta-Variante sorgt in Irland derzeit für eine vierte Infektionswelle, die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt bei 364. Allerdings steigt die Zahl der Krankenhauseinweisungen auf wesentlich geringerem Niveau als bei den vorherigen Wellen. "Die Leute registrieren sich fürs Impfen", sagt Ger McCormack. "In den Medien ist zu sehen, dass die meisten Patienten in den Krankenhäusern Ungeimpfte sind. Das hat einen Effekt auf die Menschen."
Geimpfte haben es in Irland im Alltag leichter - so sind die Innenräume der Pubs nur für Geimpfte und Genesene geöffnet, während geselliges Beisammensein für Ungeimpfte den Unwägbarkeiten des irischen Wetters unterworfen ist. Es gebe jedoch generell ein großes Vertrauen der Bevölkerung in die Corona-Impfung, erläutert Gesundheitsexperte Staines im DW-Interview: "Wir haben auch bei anderen Impfungen hohe Quoten. Die irische Bevölkerung ist solide durchgeimpft, vor drei Jahren haben wir so die Masern verdrängt." Und ein weiterer Punkt: "Die Fachkräfte des irischen Gesundheitssystems haben mit einer Stimme gesprochen und die Menschen zur Impfung aufgerufen. Es gibt keine einflussreichen Impfgegner unter Ärztinnen und Pflegern."
Ein paar Impfgegner gibt es doch
Tatsächlich fällt auf, dass die Gruppe der lauten und schrillen Impfgegner, wie man sie aus Deutschland, Frankreich oder Großbritannien kennt, in Irland fast komplett zu fehlen scheint. An einem sommerlichen Samstag in Galway, der viertgrößten Stadt an der Westküste, sieht man dann doch ein paar Anzeichen, dass nicht alle geimpft werden wollen. Aufkleber auf Mülleimern prangern eine angebliche "medizinischen Apartheid" an.
Und auf dem Eyre Square, dem zentralen Platz am Anfang der belebten Fußgängerzone, sitzt ein älterer Mann mit Plakaten: "Die COVID-Impfungen töten unsere Kinder", steht auf gleich drei Abzügen, darunter ein kurzer Text über einen Jungen, der angeblich nach einer Impfung gestorben sein soll. Auf anderen Plakaten sind Zahlen und Grafiken zu Impftoten zu sehen. Als eine Passantin fragt, woher die Daten stammten, ruft der Mann: "Von Gott! Von Allah!" Die Frage der DW, ob er regelmäßig mit seinen Plakaten hier sitze, bejaht der Mann, bei weiteren Fragen ist er nicht mehr ansprechbar.
Überzählige Dosen aus Rumänien
Auch in Irland gebe es eine Gruppe von Menschen, die eine Impfung auch dann noch ablehnten, wenn man ihnen eine Waffe an den Kopf halten würde, sagt Professor Staines. Die Impfkampagne konzentriere sich derzeit daher auf die Gruppe derer, die schwierig zu erreichen seien - etwa mit mobilen Teams für Obdachlose. "Wir könnten 90 Prozent schaffen, oder sogar mehr, aber das wird schwer", sagt Staines.
Die anhaltend hohe Nachfrage nach Impfungen hat die Regierung zu einem Sonderdeal ermutigt, der jetzt mit für den irischen Impf-Turbo sorgt: Der Inselstaat hat 700.000 Dosen des Präparats von BioNTech-Pfizer aus Rumänien beschafft, die erste Tranche wurde Mitte August geliefert. In dem südosteuropäischen Land hat die Regierung offenbar große Probleme, Abnehmer für den in der EU inzwischen üppig vorhandenen Impfstoff zu finden. Gerade einmal 31,9 Prozent der Erwachsenen haben dort bereits den vollständigen Impfschutz. Vor dem Deal mit Irland hatte Rumänien bereits einen ähnlichen Weiterverkauf von 1,1 Millionen Dosen an Dänemark vereinbart, weitere Dosen wurden gespendet.
Was auf EU-Ebene praktiziert wird, regeln auch die irischen Impfzentren untereinander, erklärt Ger McCormack: "Anfang August hatten wir Pfizer-Impfdosen, die bald ablaufen würden, also haben wir sie anderen Zentren in der Nähe angeboten, die sie verbrauchen konnten. Wir arbeiten zusammen, um sicherzustellen, dass alle Dosen aufgebraucht werden."
In der zum Impfzentrum umfunktionierten Sporthalle hängt noch ein großes Banner mit einer verschnörkelten 50.000. Für die 75.000ste Impfung habe sie kein Budget für ein neues gehabt, erklärt Managerin Ger McCormack, es reichte nur für ein mit Filzstift gemaltes Plakat. Sie verspricht: Ein neues Banner wird aufgehängt, wenn ihr Impfzentrum die 100.000er-Marke knackt.