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Kehrtwende in Spaniens Flüchtlingspolitik

Guy Hedgecoe (sp)9. September 2015

Unter dem Druck der Kirche und vieler Städte hat Spanien seine zögerliche Haltung aufgegeben. Das Land will mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die Regierung warnt aber vor wirtschaftlichen Problemen. Aus Madrid Guy Hedgecoe.

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Am spanisches Cibeles Palast in Madrid hängt ein Banner mit der Aufschrift "Refugees Welcome" ("Flüchtlinge Willkommen") (Foto: GERARD JULIEN/AFP/Getty Images)
Bild: G. Julien/AFP/Getty Images

"Flüchtlinge Willkommen" steht auf dem großen Banner, das Anfang der Woche vom Dach des Palacio de Comunicaciones in Madrid ausgerollt wurde. Ein klares Statement der Behörden der spanischen Hauptstadt, die angesichts der europäischen Flüchtlingskrise zehn Millionen Euro für Asylsuchende bereitgestellt haben.

"Madrid ist die Stadt der Umarmung", hieß es in einem Statement aus dem Bürgermeisteramt zu dem Banner. "Durch diesen symbolischen Akt möchte die Stadt angesichts der dramatischen Situation fliehender Familien, die ihre Heimat verlassen, ihre Solidarität mit ihren Nachbarn bekunden."

Spaniens konservative Regierung fuhr hingegen lange einen viel zögerlicheren Kurs. Im Sommer hatte sie sich bereit erklärt, gerade einmal etwas mehr als 2800 Flüchtlinge aufzunehmen - größtenteils Menschen, die bereits in Italien und Griechenland registriert wurden. Die Bitte der Europäischen Kommission, sich um etwa die doppelte Menge zu kümmern, wurde abgelehnt.

Noch Ende August warnte Vizeministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría, die Möglichkeit, weitere Flüchtlinge aufzunehmen sei durch die illegale Zuwanderung aus Afrika "extrem begrenzt". Doch in den vergangenen Tagen hat Ministerpräsident Mariano Rajoy offenbar einen Kurswechsel eingeleitet. Bei einer Pressekonferenz mit seinem britischen Amtskollegen David Cameron erklärte er, Spanien werde alle Menschen aufnehmen, die einen Anspruch auf Asyl hätten und darum ersuchten.

Die spanische Regierung beharrt darauf, noch keine Quote für die Aufnahme von Flüchtlingen festgelegt zu haben. Berichten zufolge steht die Zahl von 15.000 Menschen in den kommenden zwei Jahren im Raum. Einzig Deutschland und Frankreich nehmen mehr Flüchtlingen auf.

Politischer Druck

Der internationale Stimmungswandel, den auch Bilder wie jenes des im Mittelmeer ertrunkenen kleinen Syrers Aylan Kurdi hervorgerufen haben, hat scheinbar auch die Regierung Rajoy ergriffen. Interner politischer Druck hat offenbar ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt.

Die Stadt Madrid hat zurzeit eine linksgerichtete Regierung unter Bürgermeisterin Manuela Carmena. Sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, der Flüchtlingskrise Priorität einzuräumen. Auch in Barcelona steht seit Juni mit der 41-jährigen Ada Colau eine Aktivistin aus der Protestbewegung "Indignados" an der Spitze des Rathauses. Ende August brachte sie einen Plan für den Umgang mit Flüchtlingen auf die Agenda. Er sieht vor, ein Netzwerk sogenannter Flüchtlingsstädte zu errichten, das städtische Ressourcen und lokale Helfer gemeinsam nutzt. Neben Madrid haben sich unter anderem Valencia, Saragossa und A Coruña angeschlossen.

"Es ist beschämend und empörend, dass unsere Länder und Europa generell nicht in der Lage sind, ihren Pflichten nachzukommen", sagte Barcelonas Bürgermeisterin Colau kurz nachdem ihre Initiative vorgestellt wurde. Die ursprüngliche spanische Flüchtlingsaufnahmequote bezeichnete sie als "lächerlich".

Und auch die katholische Kirche hat zusätzlichen Druck auf die Regierung aufgebaut. Der Klerus tadelte sie für ihre Antwort auf die Krise und richtete zugleich viele Kirchen und Klöster für die Aufnahme der Asylsuchenden ein.

Rotkreuz-Mitarbeiter versorgen Flüchtlingen in Ceuta (Foto: Guy Hedgecoe, DW)
Hilfsorganisationen und Gemeinden haben den Druck auf die spanische Regierung erhöhtBild: DW/G. Hedgecoe

Arbeitslosigkeit und Sparpolitik

Als einen Grund gegen eine offenere Flüchtlingspolitik hat die spanische Regierung die knappen Ressourcen des Landes ins Feld geführt. Spanien hat sich gerade erst von der schwersten wirtschaftlichen Krise der letzten Jahrzehnte erholt. Auch wenn die Wirtschaft nun schnell wieder wächst, liegt die Arbeitslosigkeit im Land immer noch bei über 22 Prozent. Viele Behörden und öffentliche Einrichtungen sind nach fünf Jahren harter Sparpolitik an der Grenze der Belastbarkeit. Kurz vor dem Umschwung der Flüchtlingspolitik hatte der spanische Außenminister Jose Manuel Garcia-Margallo in einem Interview mit der "Welt" den europäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge kritisiert. Die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien mache die Integration von Neuankömmlingen schwierig, so Garcia-Margallo.

Auch nach Rajoys angekündigter Kehrtwende sprach der Außenminister noch eine Warnung aus: "Jede Zusage [mehr Flüchtlinge aufzunehmen] sollte auch von den notwendigen Mitteln flankiert werden, um ihnen ein Leben in Würde bieten zu können - mit Gesundheitsversorgung und sozialer Unterstützung." Dass Finanzminister Cristobal Montoro Teil der neu gegründeten spanischen Kommission ist, die sich um die Flüchtlingsfrage kümmert, zeigt die wirtschaftlichen Bedenken der Regierung Rajoy.

Viele Syrer, die bereits in Spanien sind, haben das Land über die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika erreicht. In Spanien werden Flüchtlinge für sechs Monate in Erstaufnahmelagern untergebracht, wo sie Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Rechtsbeistand erhalten. Dem Vergleich mit den umfassenderen Willkommensmaßnahmen in Ländern wie Deutschland hält dies allerdings nicht stand.

Flüchtlinge stehen am Zaun vor der spanischen Exklave Melilla (Foto: Guy Hedgecoe, DW)
Flüchtlinge vor Melilla: Spanien könnte einen Ausweg für viele Flüchtlinge bedeutenBild: AFP/Getty Images/B.d. Avellaneda

Spanisches Willkommen

"In anderen Ländern gibt es finanzielle Unterstützung für Flüchtlinge - und es gibt Arbeit", sagte der syrische Ingenieur Emin Ehmed der Zeitung "El Pais" auf seiner Überfahrt von Melilla zum spanischen Festland. "In Spanien setzen sie dich nach sechs Monaten auf die Straße."

Doch obwohl Spanien nicht das begehrteste Ziel vieler Flüchtlinge ist, finden viele Spanier, dass ihr Land keine Bedenken haben sollte, diese Menschen aufzunehmen. "Vielleicht gibt es weniger Geld für weniger wichtige Dinge. Aber wenn es darum geht, den Menschen zu helfen, muss einfach genug Geld vorhanden sein", sagt Maria Luisa Aranz, die als Büroangestellte in Madrid arbeitet, im Gespräch mit der DW

Der Hausmeister Jose Luiz Bermudez stimmt zu. "Mein Großvater ist nach Deutschland ausgewandert, um dort nach dem Bürgerkrieg Arbeit zu finden. Man hat ihn dort sehr gut behandelt", sagt er der DW. "Die Menschen hier vergessen, dass nach dem Ende des Bürgerkriegs viele Spanier nach Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay ausgewandert sind und niemand sie daran gehindert hat. Wir hatten Probleme in der Vergangenheit - und uns wurde geholfen. Nun müssen wir ebenso konsequent sein."