Kritischer Rüstungsexportbericht der Kirchen
18. Dezember 2017Verschärft die Bundesregierung die Flüchtlingskatastrophe im Jemen? Vertreter der christlichen Kirchen in Deutschland sind genau davon überzeugt. "Der Krieg im Jemen wird auch mit deutschen Waffen geführt", sagte der evangelische Vorsitzende der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), Martin Dutzmann, am Montag in Berlin. Dutzmann kritisierte bei der Vorstellung des 21. Rüstungsexportberichts der Kirchen die Waffenexporte nach Saudi-Arabien. Das Land sei zentrale Konfliktpartei im Jemen. Im dem Bürgerkriegsland bekämpfen sich seit 2015 Huthi-Rebellen und die sunnitisch geprägte Regierung, die von einer Koalition unter saudiarabischer Führung unterstützt wird. Der schiitische Iran steht den Rebellen bei. Tausende Menschen wurden bereits getötet. Hilfsorganisationen zufolge sind etwa 20 Millionen Menschen und damit 75 Prozent der jemenitischen Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Trotzdem habe Saudi-Arabien von der Großen Koalition von CDU, CSU und SPD zwischen Januar 2014 und April 2017 Rüstungsexporte in Höhe von einer Milliarde Euro erhalten, sagte Dutzmann. Geliefert worden seien Patrouillenboote und Bauteile für Kampfflugzeuge. Beides sei in Kriegshandlungen zum Einsatz gekommen. Saudische Patrouillenboote hätten demnach Seehäfen blockiert und zivile Hilfslieferungen in den Jemen gestoppt. Zudem seien über Saudi-Arabien jemenitische Bodentruppen unterstützt worden. Weitere Rüstungsgeschäfte mit Ägypten und Katar hätten der Kriegsallianz Saudi-Arabiens weitere Waffen in die Hand gegeben. "Damit tragen Waffenexporte aus Deutschland direkt zur Flüchtlingskatastrophe bei", folgert der Kirchenvertreter Dutzmann. Linken-Rüstungsexpertin Sevim Dagdelen sprach von einem "moralischen und politischen Offenbarungseid der Bundesregierung". Saudi-Arabien bezeichnete sie als "eine islamistische Kopf-ab-Diktatur, die die eigene Bevölkerung massiv unterdrückt und im Jemen furchtbare Kriegsverbrechen begeht".
Deutsche Rüstungsexporte - gesteuert nach Auftragslage?
An die Bundesregierung appelliert das Kirchenbündnis hinter dem Rüstungskontrollbericht, sämtliche Waffenexporte in die Krisenregion sofort einzustellen. Insbesondere Saudi-Arabien dürfe nicht weiter mit deutschen Waffen aufgerüstet werden, so der Vertreter der katholischen Kirche, Karl Jüsten. Auch Exporte nach Ägypten, Katar, in die Vereinigten Arabischen Emirate oder Algerien müssten unterbleiben. Aufgrund der Verwicklungen der Türkei in regionale Konflikte sehen die Kirchenvertreter ebenso Exporte in den NATO-Staat kritisch. Im Rüstungskontrollbericht heißt es, die tatsächliche Exportpraxis spiegele diese Bedenken nicht wider. In der zurückliegenden Legislaturperiode seien über 90 Prozent der tatsächlichen Kriegswaffen-Ausfuhren an Drittstaaten jenseits von EU und NATO gegangen. Über die Hälfte aller neuen Ausfuhrgenehmigungen seien an Drittstaaten erteilt worden.
Insgesamt erreichten die Ausfuhren 2015 mit 7,9 Milliarden Euro und 2016 mit rund 6,8 Milliarden Euro die höchsten Werte in den vergangenen 20 Jahren. "Der Export an Drittstaaten ist inzwischen zur Regel und nicht zur Ausnahme geworden", kritisierte Dutzmann. Das widerspricht nach Ansicht der Kirchenvertreter den friedenspolitischen Leitlinien der Bundesregierung, die diese zum letzten Mal im Juni 2017 verschärft hatte. Für Max Mutschler, Rüstungsexperte vom Internationalen Konversionszentrum BICC in Bonn, scheint die Rüstungskontrolle noch immer mehr von der Auftragslage der Waffenhersteller, als von tatsächlichen Menschenrechtsstandards der Bundesregierung abhängig zu sein.
Eine Europäisierung der Rüstungskontrolle gefordert
Das Kirchenbündnis GKKE sieht nun die kommende Bundesregierung in der Pflicht. Ein Rüstungskontrollexportgesetz, das diesen Namen auch verdiene, müsse auf den Weg gebracht werden. Als zentralen Baustein will BICC-Forscher Mutschler darin die Umkehr der Beweislast verankert sehen. "Es ist erst mal alles verboten, und dann kann man im Einzelfall entscheiden, was an Rüstungsexporten erlaubt werden soll". Ausfuhrerlaubnisse müssten in jedem Einzelfall begründet werden. Würde sich eine neue Bundesregierung einer solchen Linie tatsächlich anschließen, stünde dies im scharfen Kontrast mit dem Verhalten der USA unter Präsident Donald Trump. Dieser hatte bei seiner Nahost-Stippvisite in diesem Jahr in Saudi-Arabien amerikanische Waffenverkäufe von über 110 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt. Über Einschränkungen, abhängig von der Lage der Menschenrechte in Saudi-Arabien, wurde bei dieser Absichtserklärung nichts bekannt. "Wir wollen endlich gute Regierungsführung in diesem höchst sensiblen und korruptionsanfälligen Politikfeld", forderte der katholische Vertreter Jüsten.
Aber auch die anvisierte Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik berge Sprengstoff für eine transparente und restriktive Rüstungskontrolle, befürchten die Kirchenvertreter. So könne die engere Zusammenarbeit von 25 EU-Mitgliedstaaten bei der Rüstungsproduktion dazu führen, dass nationale Rüstungsexportkontrollen erschwert würden, "da es Rüstungsfirmen ermöglicht wird, diese zu unterlaufen." Insbesondere Deutschland und Frankreich hatten angekündigt, bei der Entwicklung und Beschaffung von neuen Kampfflugzeugen, Panzern und Artilleriegeschützen Gemeinschaftsprojekte vorantreiben zu wollen. Bevor solche Projekte begonnen werden könnten, müssten sich die Länder aber auf eine "weiße Liste" jener Länder verständigen, die für einen Kauf der Waffensysteme in Frage kommen sollen.
Ansonsten könne es zu einer schleichenden Aushöhlung der restriktiven Ausfuhrpraxis kommen, warnen die Kirchenvertreter. Und sie fordern, wie es das Europäische Parlament am 13. September ebenfalls getan hat, die Einrichtung eines Rüstungskontroll-Gremiums auf EU-Ebene mit weitreichenden Befugnissen. Würden die Staaten darauf verzichten, könnte die Produktion der Waffensysteme von den Herstellern jeweils in das Land verlagert werden, das die niedrigsten nationalen Standards biete. Die Verteidigungsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Agniezska Brugger, will den Bericht als Weckruf für die bevorstehenden Sondierungen zwischen Union und SPD verstanden wissen. "Die gefährliche Vernachlässigung von Rüstungsexportkontrolle und Abrüstung durch Union und SPD darf sich in ihren kommenden Verhandlungen nicht fortsetzen", erklärte Brugger.