Geigen für ein besseres Leben
7. Dezember 2014Die engen, staubigen Wege von Korogocho sind gesäumt von Blech- und Holzhütten. Die Menschen in dem Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi schlagen sich als Händler, Imbissverkäufer und Handwerker durch. Die große Müllhalde am Rande der sogenannten "informellen Siedlung" bietet für viele die Lebensgrundlage: Sie durchsuchen die Abfälle und verkaufen alles, was noch irgendwie brauchbar scheint.
Der Eingang zur St. Petruskirche liegt direkt neben dem Fußballplatz und der einzigen Grundschule in der Gegend. Durch das Gewirr von Kinderstimmen, Motorradgeknatter und Bolzgeräuschen dringen die Klänge von Geigen, Klarinetten und Saxophonen herüber. Die jungen Musiker des Projektes "Ghetto Classics" spielen sich ein.
Weg aus der Armut
Jeden Sonntag treffen sich die Kinder und Jugendlichen in der nur durch ein Wellblechdach geschützten Kirche, um zusammen zu musizieren. Für sie alle ist das Ghetto-Classics-Projekt die einzige Möglichkeit, ein Instrument zu lernen. Und für viele von ihnen ist das weit mehr als ein Hobby: "Ich liebe Musik so sehr. Manchmal ist das Leben hier sehr schwierig und die Musik lässt mich dann alles vergessen", sagt die 15-jährige Emily Onyango. Das Projekt sei ihre einzige Chance, aus der Armut herauszukommen: "Für eine Schulausbildung fehlt mir das Geld. Aber wenn ich hier gut bin, kann ich in ein größeres Orchester kommen und bei Auftritten dabei sein. So kann ich etwas Geld verdienen", erzählt die ambitionierte junge Geigerin.
Die Begründer des Projektes wollen genau das: Den Jugendlichen eine Zukunftsperspektive geben. Denn die Arbeitslosigkeit im Slum ist hoch, Kriminalität ist weit verbreitet. Die ehrenamtlichen Musiklehrerinnen und -lehrer kommen meist aus den besseren Vierteln Nairobis, die meisten von ihnen sind Studenten. Jeden Sonntag machen sie sich auf den oft mehrstündigen Weg durch die Staus der boomenden Metropole, um zu unterrichten und die Proben zu unterstützen.
Eine von ihnen ist die Architekturstudentin Etta Adete. Geige spielen hat sie in der Schule gelernt. Sie freut sich auf die Sonntage in Korogocho: "Ich warte die ganze Woche über auf die Probe mit den Kindern. Es bedeutet mir alles, hier zu sein. Ich komme nach Korongocho, um etwas zurück zu geben." Mit den Kindern zu musizieren, mache ihr viel Spaß: "Sie sind so ehrgeizig, so neugierig und so enthusiastisch. So etwas findet man kaum irgendwo sonst", schwärmt sie.
Etwas anderes erleben
Dass die Kinder nicht immer zu den Proben kommen und manchmal abgelenkt sind, stört sie nicht. Alle Beteiligten wissen, dass viele Kinder weitgehend sich selbst überlassen aufwachsen. Manchmal müssen sie in der Familie helfen oder es regnet und der Weg durch den Matsch des Slums zur Probe wäre zu beschwerlich. Für die Lehrer ist es wichtig, den Kindern und Jugendlichen den Ort und die Möglichkeit zu bieten, etwas anderes zu erleben, als der Alltag sonst bereit hält. Ihnen ist bewusst, dass wahrscheinlich nur die wenigsten ihrer Schüler eine Karriere als Profimusiker einschlagen können. Doch etwas zu lernen, worauf sie stolz sein können und Anerkennung dafür zu bekommen - das ist eine Erfahrung, die viele Lebenswege verändern kann.
Bislang treten die Musikschüler auf Hochzeiten und anderen Festen in Korogocho auf. Getragen wird das Projekt von der privaten kenianischen Stiftung "Art of Music". Neben dem Kulturministerium wird Ghetto Classics vom deutschen Goethe Institut und der polnischen Hilfsorganisation Polish Aid unterstützt. Ab dem Jahr 2015 will die Stiftung ähnliche Projekte in ganz Kenia starten. Bereits dieses Jahr hat sie in den angrenzenden Slums Kasarani und Mathare begonnen, Musikunterricht zu fördern. Und die Ambitionen gehen noch wesentlich weiter: "Wir würden gerne ein Konservatorium einrichten, in dem die besten Schülerinnen und Schüler aus den Slums erstklassigen Unterricht bekommen", beschreibt Elizabeth Njoroge, die Leiterin der Stiftung, ihre weiteren Pläne.
Emily Onyango übt fleissig weiter. Sie kommt so oft wie möglich zu den Proben. Und sie versucht, an diese Möglichkeiten zu glauben - und daran, dass sie eines Tages einen kreativen Beruf ausüben und ihr eigenes Geld verdienen wird.