Kohleausstieg: Erst die Jobs, dann das Klima
4. Juni 2018Kein anderes Land der Welt verbraucht so viel Braunkohle wie Deutschland – rund ein Viertel des deutschen Stroms wird daraus gewonnen. Doch Braunkohle ist auch für rund ein Fünftel der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands verantwortlich. Nach dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 verpflichtet, ihre CO2-Ausstöße bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, und bis 2030 mehr als zu halbieren. Ein wichtiger Schritt, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, ist das Abschalten der Kohlekraftwerke.
Ohne drastische Maßnahmen wird Deutschland sein 2020-Ziel um ungefähr 10-Prozentpunkte verfehlen, sagen Experten. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat deswegen die Bundesregierung aufgefordert, bis 2020 die ältesten und dreckigsten Kraftwerke vom Netz zu nehmen. Doch während Länder wie Großbritannien, Finnland und Frankreich bereits die Produktion ihrer Kohlekraftwerke herunterfahren, war Deutschland bislang zögerlich. Eine neu gegründete Kohlekommission soll nun den Ausstieg vorbereiten und bereits Ende 2018 ein festes Ausstiegsdatum verkünden.
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Doch wegen wochenlanger Streitigkeiten über den Vorsitz und das Mandat der Kommission wurde der offizielle Start dreimal verschoben. Ende Juni nimmt das Gremium "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" ihre Arbeit nun auf. Kritik hagelte es im Vorfeld von allen Seiten.
Wirtschaft vor Klima
Die Kommission will erst Arbeitsplätze sichern, bevor Kohlekraftwerke ausgeschaltet werden, heißt es in einem ersten Mandatsentwurf. Während die Union fordert, dass der Klimaschutz die Kommission nicht dominieren dürfe, geht den Grünen/Bündnis90 und verschiedenen Umweltorganisationen der Klimaschutz nicht weit genug.
"Der Strukturwandel hat klare Priorität in der Kommission. Das ist auch gut und wir unterstützen das, die Sorge aber ist, dass es wichtiger als der Klimaschutz sein wird", sagte Tina Löffelsend, Klimaexpertin bei der Umweltorganisation BUND, gegenüber der DW. "Man darf nicht vergessen, dass Klimaschutz und das Erreichen der Klimaziele die Hauptgründe sind, warum es die Kommission überhaupt gibt", fügte sie hinzu.
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Auch die Zusammensetzung der Kommission sorgte im Vorfeld für Streit. Nach langen Diskussionen, wer in dem Gremium sitzen soll, einigte man sich am Ende auf Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Industrieverbänden, Wissenschaftler, Betroffene und Umweltschützer sowie drei Bundestagsabgeordnete ohne Stimmrecht. Geleitet wird sie von vier Vorsitzenden: den früheren Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen, Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU), Bahn-Vorstand Ronald Pofalla sowie der Wissenschaftlerin Barbara Praetorius. Insgesamt hat die Kommission 31 Mitglieder - und alle haben unterschiedliche Interessen.
Je größer die Kommission ist, desto schwieriger wird die Entscheidungsfindung, glaubt Michael Schäfer, Klimaexperte bei der Umweltorganisation WWF. "Alle müssen mitreden, keiner hat so richtig die Gesamtverantwortung, dass es zu einem Ergebnis kommt", sagte er der DW.
Lange Tradition, starke Gewerkschaften
Doch warum zögert Deutschland so sehr mit dem Kohleausstieg? Eine kürzlich veröffentlichte Analyse des Umweltverbands BUND zeigt, dass eine Stilllegung der klimaschädlichsten Kohlekraftwerke und eine deutliche Beschleunigung des Atomausstiegs möglich sind, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Deutschland hätte also auch ohne Kohle noch genügend Strom.
Sabrina Schulz, Energieexpertin bei der Umweltgruppe E3G, sieht die enge Verbindung von Politik und Kohleindustrie als eine der Gründe, warum Deutschland an der Kohle festhält. "Die Politik spricht der Braunkohleindustrie traditionell nach dem Mund. Ich möchte nicht sagen, dass sie gekauft sind. Es ist über viele Jahre ein System gewachsen und das hat gut funktioniert. Diese Tradition besteht fort", sagte sie gegenüber der DW.
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Rund 20.000 Menschen arbeiten für Braunkohleunternehmen in Deutschland. Verglichen mit den knapp 340.000 Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien ist das eine relativ geringe Zahl. Doch Kohlearbeiter sind traditionell gewerkschaftlich sehr gut organisiert. Daran kommen auch die Parteien nicht vorbei. Deswegen legte Bundeskanzlerin Angela Merkel auch schon vor der letzten Bundestagswahl klar fest: "Wir werden mit den Regionen sprechen, Alternativen für Beschäftigung herausarbeiten, und dann kann man auch den Ausstieg ins Auge fassen."
Mit dem Thema Kohleausstieg ließen sich außerdem keine Wahlen gewinnen, sagt Energieexpertin Schulz. Nächstes Jahr finden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen statt, wo die Kohlereviere Lausitz und teilweise Mitteldeutschlands liegen. Dort sind Braunkohleunternehmen oft die wichtigsten Arbeitgeber. Es gibt wenig Jobalternativen. Politiker würden sich fragen, "ist das der richtige Zeitpunkt, den Leuten zu sagen, jetzt ist Schluss mit der Braunkohle, wenn sie noch keine Lösungen haben, wie man einen positiven Übergang gestalten kann?", sagt Schulz.
Lösungen werden vor Ort nun langsam gesucht. Im Zuge des Klimaschutzplans 2050 hat die Bundesregierung Koordinierungsstellen in den vier deutschen Braunkohleregionen einberufen. Die regionalen Arbeitskreise sollen Ideen sammeln, wie man den Strukturwandel in den Braunkohleregionen vorantreiben soll. Bis konkrete Vorschläge aus den Arbeitsgruppen kommen, werden allerdings noch Jahre vergehen.
Bevölkerung will Ausstieg
Während die Politik hadert, ist sich die Bevölkerung einig: Die Mehrheit möchte ein baldiges Ende der Kohleverstromung. Laut einer Umfrage der Universität St. Gallen, die von Greenpeace beauftragt wurde, wollen 75 Prozent der Befragten, dass die Bundesregierung schnellstmöglich ein Gesetz zum schrittweisen Kohleausstieg beschließt. Selbst mögliche moderate Strompreissteigerungen haben die Umfrageteilnehmer nicht abgeschreckt.
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"Der Ausstieg ist nicht nur im Hinblick auf die Klimaerhitzung dringend notwendig, er ist in Deutschland auch mehrheitsfähig. Ein Großteil der Menschen sieht darin vor allem eine Chance, das Land zu modernisieren", sagte Anike Peters, Energieexpertin von Greenpeace, in einer Stellungnahme. "Bundeskanzlerin Merkel muss den Willen der Menschen endlich ernst nehmen und sich jetzt für einen raschen und sozialverträglichen Kohleausstieg einsetzen."
Der Druck aus der Bevölkerung steigt. Ende Mai haben sich zehntausende Bürger in einer Petition an die Bundesregierung gewandt und sie aufgefordert, schnellstmöglich ein wirksames Klimaschutzgesetz zu verabschieden. Die Umweltorganisation WWF überreichte die Petition an das Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium. Nun warten alle gespannt auf die ersten Ergebnisse der Kommission. Ende Oktober sollen die ersten Vorschläge für einen Strukturwandel in Braunkohleregionen veröffentlicht werden.