Kolumbiens Rebellen unter Zugzwang
15. September 2003Vier Israelis, zwei Briten, ein Spanier und ein deutscher Urlauber sind die jüngsten Opfer: Sie wurden am Sonntag (14.9.2003) im Norden Kolumbiens von linken FARC-Rebellen verschleppt. Wie die Polizei sagte, wollten sie die präkolumbianische Ruinenstadt Ciudad Perdida 700 Kilometer nördlich von Bogotá besuchen.
Nach Angaben des kolumbianischen Präsidenten sind etwa 2000 Polizisten und Soldaten zur Befreiung der Touristen im Einsatz. Kolumbien ist das Land mit den weltweit meisten Entführungen. Nur noch wenige Touristen wagen es deshalb, sich außerhalb der großen Städte zu bewegen. Doch nicht nur für Touristen ist das Land gefährlich.
Land ohne Frieden
Rund 3500 Menschen sterben nach Schätzungen jährlich im kolumbianischen Bürgerkrieg. Hintergrund dieser Aktionen ist nicht mehr nur der Kampf zwischen "linken" Rebellen und "rechter" Staatsführung. Die einst revolutionäre FARC ernährt sich heute von der Unterdrückung wehrloser Bauern, von Lösegeldern, Waffen- und Drogenhandel in den unzugänglichen Gebieten des Urwalds nahe Brasilien.
Kolumbien ist das Land mit den weltweit meisten Entführungen. Nur noch wenige Touristen wagen es deshalb, sich außerhalb der großen Städte zu bewegen. Seit Jahresbeginn wurden nach Informationen der Stiftung "Pais Libre" ("Freies Land") 800 Menschen verschleppt. Etwa 40 Prozent aller Entführungsopfer befänden sich in der Gewalt der FARC. Dazu gehört auch die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Seit 18 Monaten etwa ist sie in der Gewalt der Entführer. Auf einem Video der Entführer forderte sie jüngst ihre gewaltsame Befreiung statt einer Verhandlungslösung. Wohl wissend, dass ein solches Unterfangen für sie tödlich enden kann.
Die fehlende Staatsgewalt der Zentralregierung in Bogotá machte sich das Leben dabei äußerst leicht. Gleiches gilt für ihre Gegner, die ultrarechten Paramilitärs. Immer wieder kommt es zu Kämpfen, bei denen beide Seiten gnadenlos vorgehen. Am Wochenende des 1. September 2003 haben die kolumbianischen Streitkräfte nach eigenen Angaben jüngst mindestens 40 Rebellen der FARC und des "Nationalen Befreiungsheeres" (ELN) erschossen. Sollte das Treffen mit Lula in Brasilia gelingen, wäre es das erste seit Februar 2002.
Vereinigte Rebellen?
Unklar ist noch, ob die Rebellen den Frieden wollen. Die FARC- und ELN-Rebellen ließen jüngst verlauten, sie wollten sich im Kampf gegen den Staat zusammenschließen. Sie lehnten Friedensverhandlungen mit der Regierung von Präsident Uribe offiziell strikt ab. Zugleich wollen sie eine "demokratische und patriotische" Alternativregierung bilden, Uribe und dessen Regierung seien "illegitim und faschistisch". Auch Uribe lehnt Verhandlungen mit den Rebellen ohne vorherige Waffenruhe ab. Mit US-Militärhilfe versucht er stattdessen, die Rebellen militärisch zu besiegen.
Mit harter Hand
Gründe für sein hartes Durchgreifen hat Präsident Uribe (51) genug. Zu seiner Amtseinführung am 7. August 2002 beschoss die FARC-Guerilla mit Granatwerfern den Präsidentenpalast, in dem Uribe seinen Amtseid schwor. 20 Menschen kamen ums Leben. Sein Vater wurde in den 80er-Jahren bei einer gescheiterten Entführung getötet. Und im August 2002 wurde er beim Besuch eines Dorfes im Nordosten des Landes beschossen. Zudem brachte die nachgiebige Haltung früherer Präsidenten dem Land keinen Frieden – die Rebellen verstießen regelmäßig gegen jedes Abkommen. Seit Uribe im Amt ist, hat er der Guerilla den Krieg erklärt.
In umkämpften Gebieten rief Uribe den Ausnahmezustand aus, der es dem Militär erlaubte, Verdächtige ohne Haftbefehl zu inhaftieren. Der Oberste Gerichtshof erklärte das nach Monaten für verfassungswidrig. Jetzt arbeitet Uribe an einer Verfassungsänderung, die Soldaten in Konfliktgebieten freie Hand ohne Justiz lässt. Der Erfolg gibt ihm recht: Immerhin 80 Prozent der Kolumbianer befürworten diesen harten Kurs nach Jahren der Untätigkeit in Bogotá. Abgeordnete seiner Partei haben eigens einen Antrag im Kongress eingebracht: Er soll Uribe eine zweite Amtszeit ermöglichen, die die Verfassung bislang ausschließt.
In den vergangenen zwölf Monaten wurden laut offiziellen Angaben über 1900 Guerilleros getötet. Ein herber Verlust für die FARC, die rund 17.000 Mitglieder zählen sollen. Vielleicht führt die Erkenntnis, dass man in Bogotá nicht mehr alles hinnimmt, bei den Rebellen zum Einlenken.