Kolumne: Berlin bejubelt seine Komische Oper
10. Dezember 2017In der Komischen Oper ist vieles anders. Schon der Name: KOMISCHE Oper. Warum eigentlich komisch? Ist das zum lachen oder gar lächerlich, was da auf der Bühne passiert? Nehmen sich die Theaterleute selbst nicht ernst?
Der Fiddler auf dem Roof
Auf die Idee würde keiner kommen, der zum 70. Geburtstag der Komischen Oper den Broadway-Musicalklassiker Anatevka sieht, in einer Inszenierung von Intendant und Chefregisseur Barrie Kosky. Worum geht es da? Gründungsintendant Walter Felsenstein, dessen eigene Inszenierung der Anatevka legendär ist und mit 500 Aufführungen zum unerreichten Klassiker der Komischen Oper avancierte, beschrieb es so: Anatevka, besser als „Fiddler on the roof" bekannt, ist für ihn – schlicht - eine "Liebesverwicklungsheiratstragikkomödie". Na, sind Sie auch darüber gestolpert? Bei allem Respekt, Herr Felsenstein, ich versuch es mal mit mehr Worten: Im jüdischen Schtetl Anatevka wird ziemlich gerne geheiratet, sozusagen im Akkord. Dabei ist das Umfeld nicht gerade romantisch. Im Gegenteil: Von einem Pogrom und drohender Heimatlosigkeit ist die Rede. Trotzdem: Die drei Töchter des bettelarmen Milchmanns Tevje vermählen sich - Liebe macht mutig - über soziale und religiöse Schranken hinweg. Das gibt Zoff mit dem Vater, der die alten Traditionen hochhält, doch dann am Ende seinem weichen Herzen folgt. Tradition ist, wenn man sie fortschreibt und am Ende selber definiert, lerne ich. Nichts bleibt wie es war. Die Welt hat sich verändert, diesen Satz höre unzählige Male an diesem Jubiläumsabend auf der Bühne.
Geburtstagsständchen vom Bundespräsident
Das gilt für die Bewohner von Anatevka, und das gilt ebenso für unsere Welt mit ihren immer neuen Pogromen und Migrationswellen. Es gilt auch für die Komische Oper, die ihr agiler Intendant Barry Kosky unablässig in die Vorderfront modernen Musiktheaters schubst. Manchmal ohne Rücksicht auf Verluste im eigenen Haus. Aber immer in der Tradition ihres legendären Gründers Walter Felsenstein, der vom kriegszerstörten Ostberlin aus mit seinem psychologisierenden Regie-Realismus die Theaterwelt grundlegend veränderte: Musiktheater hat eben nichts mit Museum zu tun. Sondern mit uns allen.
Die Komische Oper ist seitdem das etwas andere Haus unter den drei Berliner Opernhäuser. Einzigartig in der Welt, na klar! Und sowieso in Berlin. Im Westen der Stadt die behäbig-großbürgerliche "Deutsche Oper", an der Prachtstraße Unter den Linden Daniel Barenboims gerade wiedereröffnete "Staatsoper", und daneben der quirlig-frivole Unterhaltungsdampfer, der gerne gegen den Strich bürstet. Dafür liebe ich die Komische Oper. Und das gemeinsam mit vielen Berlinern. Darunter übrigens auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der in seinem - gesprochenen - Geburtstagsständchen zu Beginn der Jubiläumspremiere den Opernleuten sogar eine Kommunikationsexpertise zubilligt, von der die Politik lernen könne; denn für ihn spricht die Komische Oper eine Sprache, "die selbst im polyglotten Babylon Berliner jeder versteht."
Generalsanierung als Drohung
Richtig so! Es hat sich also bis hinauf zum Staatsoberhaupt rumgesprochen: Komisch heißt hier eben nicht lächerlich, merkwürdig oder seltsam. Ob Oper, Operette oder Musical, der Griff ins pralle Leben ist das Ziel. Unterhaltungstheater im besten Sinne: Volksnah, witzig, ergreifend – und oftmals gewürzt mit schmissigen Tanzrevuen und - wie jetzt auch in Anatevka - grandiosen Chorszenen.
Ich selber habe hier schon feuchte Augen bekommen. Bei Paul Abrahams Operette "Ball im Savoy" etwa, die Barrie Kosky als ein hinreißend melancholisches Spiegelbild des Berliner Nachtlebens auf die Bühne brachte.
Da habe ich es wieder gespürt: Keine der drei Opernhäuser ist so Berlin wie die "Komische". Kaum zu glauben, dass die Berliner Politik sie in Zeiten knapper Kassen einmal abschaffen wollte. Doch jetzt zum 70. Geburtstag könnte die Politik wieder zu einer Bedrohung werden. Diesmal mit einer ach so guten Tat. Berlins Kultursenator Klaus Lederer überbrachte dem Jubilar nämlich ein "Geschenk": Die Generalsanierung des maroden Hauses. Aber, sie wissen schon: In Berlin ist so ein Geschenk eher eine Drohung. Wenige hundert Meter weiter an der Staatsoper wurden aus den versprochenen drei Jahren Sanierungszeit schließlich sieben Jahre – verbracht im unfreiwilligen Exil einer provisorischen Spielstätte. Die Aussicht auf sieben magere Jahren, die finden auch die Leute von der Komischen Oper nicht mehr so komisch.