Briten fahren Brexit-Gespräche an die Wand
Wie kann eine Regierungschefin ihre Schwäche nur so offen vor aller Welt demonstrieren? Was hat Theresa May sich dabei gedacht, mit einem Entwurf in der Tasche nach Brüssel zu kommen, den sie nicht mit den Unterstützern ihrer Minderheitsregierung, der nordirischen DUP abgeklärt hatte? Sie kennt doch die Partei und ihre knallharten Positionen in der Frage der irischen Grenzen. Hätte May ein Mindestmaß an politischer Vernunft und Erfahrung, würde sie sich und ihre Gesprächspartner in Brüssel nicht der Peinlichkeit aussetzen, beim Mittagessen von Unionisten-Chefin Arlene Forster zurück gepfiffen zu werden.
Chance zur Einigung vertan
Die Einigung in der Irlandfrage ist über die sorgfältig gedrechselte Formulierung gestolpert, man wolle nach dem Brexit eine "Annäherung der Regeln" in Nordirland mit denen in der Republik nebenan. Dabei ist das quasi der einzige Weg, das irische Problem zu lösen. Die nordirische Seite muss nah an der EU-Gesetzgebung bleiben, sonst können die offene Grenze und das gemeinsame Leben auf beiden Seiten nicht erhalten werden. Alles andere ist logisch unmöglich.
In den frustrierenden und fruchtlosen Monaten der bisherigen Brexit-Verhandlungen hätte sich eigentlich eine Erkenntnis auf der britischen Seite durchsetzen müssen: Mit der EU gibt es keine Lösungen, wonach die Briten den Kuchen aufessen und gleichzeitig behalten können. Wenn sie raus gehen, zahlen sie dafür einen deutlichen Preis. Das gilt für die Zollunion, den Binnenmarkt, die Kulturhauptstädte, den Flugverkehr: Überall ist die Regel, dass es draußen schlechter ist als drinnen. Und das trifft auch für Irland zu. Will man den Frieden erhalten, der aus dem Karfreitags-Abkommen erwachsen ist, kostet das für Großbritannien eben einen politischen Preis.
Irland hat die Oberhand
Ihr eigener Hochmut führte die Briten in den Untergang. Sie meinten, das kleine Irland nicht ernst nehmen zu müssen - so wie früher zu Zeiten des Empire. Aber das ist ein fataler Denkfehler. Irland ist keine schwache Kolonie mehr, es hat die Macht und Unterstützung der gesamten Europäischen Union hinter sich. Und dazu zählen nicht nur die Institutionen in Brüssel, sondern auch die Mitgliedsstaaten. Alle haben Sympathie für das kleine Land, über das ein größeres einfach hinweg trampeln will.
Nun ist es eine großartige Ironie der Geschichte, dass jetzt zum ersten Mal seit Jahrhunderten Irland gegenüber Großbritannien in der stärkeren Position ist. Die Regierung in Dublin hat sich zu Recht auf die wolkigen Angebote der britischen Seite für die Form der künftigen EU-Außengrenze mitten durch die irische Insel nicht verlassen. Die Kommission in Brüssel hatte das vage Gerede von David Davis über eine unsichtbare Grenze, irgendwie von Computern überwacht, sowieso als Phantasterei abgetan.
London stieß hier einmal mehr auf die harte Realität des Brexit. Der Ausstieg aus der EU ist kein Wunschkonzert. Das hatten die Brexiteers ihren Anhängern so nicht erzählt, die einen hohen Preis für ihren blinden Glauben an die Propaganda von Boris Johnson und Co. werden bezahlen müssen.
London stößt an die Grenzen des Möglichen
Theresa May hat beim Brexit eine Geschichte der Kehrtwenden hinter sich. Sie musste beim Geld einknicken und ihr Angebot von null auf rund 60 Milliarden Euro steigern. Sie musste einsehen, dass eine Übergangsregelung nach 2019 nur zu den gegenwärtigen Bedingungen der Mitgliedschaft zu haben ist. Und sie muss anerkennen, dass es keinen freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen gibt, ohne das Großbritannien in der Zollunion und im Binnenmarkt bleibt. Der ehrgeizige Sonder-Vertrag, die ganz speziellen Beziehungen zu Europa, von denen May und ihre Minister träumen, sind schlicht unmöglich.
Bei den Verhandlungen in Brüssel aber kommt mehr unter die Räder als die Illusionen der Brexiteers: Theresa May und ihre Unterhändler verspielen die Glaubwürdigkeit ihres Landes sowie die Freundschaft, die zwischen dem europäischen Kontinent und den Briten über Jahrzehnte gewachsen ist. Das schäbige Verhalten gegenüber EU-Bürgern in Großbritannien zum Beispiel, die inzwischen mit ungerechtfertigten Ausweisungsbescheiden schikaniert werden, schürt Zorn gegen die britische Regierung. Und der Hass, den manche Briten jetzt gegenüber den Zugewanderten zeigen, zerstört die Freundschaft zwischen den Menschen.
Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen aber sind die Brexit-Verhandlungen zum Scheitern verurteilt. Bisher hat London so gut wie alles falsch gemacht, und es gibt wenig Hoffnung auf einen Wandel. Zumal Theresa May längst viel zu schwach wirkt, um auch nur eine vernünftige Minimallösung durchzusetzen. Aber wer weiß: Vielleicht stürzt sie ja demnächst, es gibt Neuwahlen und der Brexit wird wieder abgeblasen - alles scheint in London inzwischen möglich. Die EU kann sich nur zurücklehnen, ihre Prinzipien wahren und abwarten.
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