Für einen kurzen Moment gab DFL-Chef Christian Seifert sich ein wenig triumphierend, als er das DFL-Hygienekonzept als eines mit "weltweitem Vorbildcharakter" bezeichnete. Zuvor hatte der rhetorisch versierte und strategisch kluge Seifert sich zurückhaltend gegeben und moderate Worte für die "kritische Situation" gefunden.
Gar nicht zurückhaltend gibt sich dagegen Karl-Heinz Rummenigge. Der 64-Jährige ist zwar Vorstandsvorsitzender des FC Bayern und kein DFL-Funktionär, doch gerade in dieser Rolle ist er eines der Sprachrohre der Bundesliga. Daran gibt es keinen Zweifel. Auch nicht bei Rummenigge selbst, der ein "Milliarden-Publikum" für die Bundesliga erwartet. Für ihn scheint klar: Der Startschuss ist erfolgt, jetzt gilt es, aus dem Vollen zu schöpfen. Aus Ermangelung an Alternativen solle doch gefälligst jeder sportbegeisterte Erdenbürger nun die Bundesliga schauen. Es scheint, als wolle er die Gunst der Stunde nicht nur nutzen, um die Saison zu Ende zu spielen und damit die für die Klubs so wichtigen Einnahmen aus den Fernsehgeldern zu sichern, sondern vor allem auch den internationalen Fokus zur Steigerung der Markenbekanntschaft nutzen.
Ein möglicherweise fataler Irrweg, den der deutsche Fußball, der sich selbst zuletzt "mehr Demut" auferlegt hatte, keinesfalls gehen sollte. Die gesamte Konzentration sollte der Einhaltung und Verbesserung des Hygienekonzeptes gelten. Sonst droht der Bundesliga ein Desaster vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Unter dem Brennglas
Ob die Wiederaufnahme der Bundesliga nun richtig oder falsch ist, kann wie so viele andere komplexe Fragen im Angesicht der Corona-Krise gar nicht vollumfänglich und objektiv beantwortet werden. Niemand kann in einer solchen Situation die Deutungshoheit für sich beanspruchen. Letztlich hängt es von der Perspektive ab. Gesundheitspolitiker Prof. Karl Lauterbach (SPD) spricht etwa im Bezug auf das Hygiene-Konzept der DFL von einer "Farce" und von "schizophrenem" Verhalten. Andere Politiker erachten das Konzept dagegen als detailreich, durchdacht und schlüssig, also tragfähig.
Das hat man auch im Ausland vernommen und zwar nicht nur im europäischen: In den USA, wo beispielsweise über eine Wiederaufnahme der Basketball-Liga NBA debattiert wird, beobachtet man das "Deutsche Modell", wie es Bobby Webster, General Manager von Meister Toronto, in einem Conference Call mit Kollegen nannte, genau. Das dürfte man auch bei der DFL mit einigem Wohlwollen vernommen haben. Doch an gute Ratschläge sollte man in diesem Stadium lieber nicht denken.
Denn das Konzept mag die Politik mehrheitlich überzeugt haben, den Praxistest hat es noch nicht bestanden. Und es gibt nahezu aus allen Blickwinkeln Zweifel daran, dass das überhaupt gelingen wird. In der Politik gibt es klare Gegner, aber auch Befürworter wie Markus Söder (CSU), der aber im gleichen Atemzug auch das damit verbundene, hohe Risiko betont.
Risse im ohnehin dünnen Eis
Zuviel ist schon vor dem ersten Spieltag seit dem Shutdown schief gelaufen. Erst das Interview des besorgten Kölner-Profis Birger Verstraete mit anschließendem Maulkorb des Klubs. Dann das Facebook-Video des mittlerweile suspendierten Herthaners Salomon Kalou. Und schließlich die Posse um die Unterschreitung der erforderlichen Mindest-Quarantäne von sieben Tagen bei Borussia Mönchengladbach - all das steigert schon vor dem ersten Anpfiff weiter die Skepsis. Manch einer sieht in dem Konzept ohnehin nur Mittel zum Zweck, um die Spielerlaubnis zu erhalten.
Zwar betonte die DFL immer wieder, dass die örtlichen Gesundheitsämter "immer das letzte Wort" haben, doch wer seine eigenen Regeln so lax interpretiert, wie es die DFL im Fall der Gladbacher getan und die Erlaubnis trotz der Verfehlung erteilt hat, der verspielt auf Dauer seine Glaubwürdigkeit. Viel Vertrauen besitzen DFL und Bundesliga davon nach der wochenlangen Hängepartie um den Restart und den PR-Desastern der jüngsten Vergangenheit ohnehin nicht mehr.
Die Sportausschuss-Vorsitzende des Deutschen Bundestags, Dagmar Freitag, fordert im WDR-Podcast "einfach Fußball" externe Kontrollen der Bundesligisten bei der Umsetzung des Hygienekonzeptes. Mehrere hundert Fußball-Fan-Gruppen aus ganz Europa sprechen sich als Zusammenschluss unter dem Name "United supporters of Europe" grundsätzlich gegen Geisterspiele aus. Mit Ex-Kapitän Marco Hartmann von Zweitligist Dynamo Dresden, das zu den Klubs mit positiv auf das Virus getesteten Spielern zählt, sprach jüngst im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" erneut ein Profi über seine Sorgen und Ängste bezüglich des Spielbetriebs.
Abbruch der Saison weiter Thema
Viel fehlt wohl nicht mehr, um auch die Bundesliga-Saison - wie in so vielen Sportarten in anderen Ländern im weltweiten Sport - doch noch platzen zu lassen. Es geht für die Bundesliga auch nicht darum, ein Milliardenpublikum zu erreichen und neue Vermarktungswege überall auf dem Globus zu erschließen. Sondern es sollte ihr ausschließlich darum gehen, unter Beweis zu stellen, dass das Konzept und die Regelungen kein Lippenbekenntnis für die Politik sind.
Sollte sich dieser negative Eindruck weiter in der Öffentlichkeit, in der Politik und im globalen Sport verfestigen, wäre das für Liga und DFL ein irreparabler Imageschaden, dessen Folgen größer sein könnten, als die eines Saisonabbruchs. Oder wie Christian Seifert es ausdrückt: "Wir spielen auf Bewährung."