Mit Kerzen in der Hand versammelten sich Tausende Polen vor dem Obersten Gerichtshof in Warschau. Mit weiß-roten polnischen National-Flaggen und blau-gelben EU-Fahnen kamen sie, um ein Zeichen zu setzen gegen die geplante Justizreform der Regierung. Auf die Fassade des Gebäudes projizierten die Demonstranten die Losung: "Dies ist unser Gericht."
Die beeindruckenden Bilder können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass - je nach Schätzungen - die Bilanz mit fünf bis zehn Tausend Demonstranten in einer Metropole mit beinahe zwei Millionen Einwohnern eher bescheiden ausfällt. Und in allen Umfragen schneidet die national-konservative Regierungspartei PiS mit 35 bis 40 Prozent Zustimmung unverändert wesentlich besser ab, als die wichtigste Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) mit ihren 22 bis 25 Prozent.
Kein Wunder also, dass die PiS und der eigentliche Machthaber, Parteichef Jarosław Kaczyński, sich sicher genug fühlen, nach der umstrittenen Reform des Verfassungsgerichts auch das Oberste Gericht und die ordentliche Gerichtsbarkeit nach ihren Vorstellungen zu reformieren.
Krude Vorwände
Dabei werden Argumente aufgerollt, die aufhorchen lassen: Den Gerichten fehle es an demokratischer Legitimation, heißt es. Die Richter bildeten eine Art Staat im Staate, zudem fehlten ihnen die notwendigen "moralischen Qualitäten". Sie begingen Straftaten, würden aber von Kolleginnen und Kollegen gedeckt. Deshalb soll die Ernennung der Obersten Richter künftig dem Justizminister und dem entsprechend reformierten Nationalen Justizrat obliegen.
Es ist nicht zu leugnen, dass in vielen demokratischen Ländern, Politiker Richter auswählen. Es kommt allerdings, wie so oft, auf das Kleingedruckte an, zum Beispiel welche Mehrheiten vorgeschrieben sind, um die Kandidaten zu bestätigen. In aller Regel müssen auch Vertreter der jeweiligen Opposition zustimmen. Dies erzwingt einen parteiübergreifenden Konsens. Solch einen Kontrollmechanismus sieht die Justizreform der PiS nicht vor
Reine Parteiinteressen
Die bisherige Praxis der "Kampfabstimmungen" seitens der regierenden Partei in Polen lässt aber erahnen, dass mit "demokratischer Legitimation" eher eine parteipolitische Gleichschaltung gemeint ist.
Ähnlich wie in den öffentlich-rechtlichen Medien, die zum Propagandainstrument der PiS umgestaltet wurden mit der Begründung, man wolle die "Vielfalt der Berichterstattung" gewährleisten, steht zu befürchten, dass es Jarosław Kaczyński nicht um die "Rückgabe der Gerichte an die Bürger" geht, wie er behauptet, sondern um die Festigung seiner Macht und seiner konservativen Revolution. Denn in Polen ist es das Oberste Gericht, das die Rechtmäßigkeit parlamentarischer Wahlen bestätigt.
Würden, wie geplant, alle Obersten Richter per Gesetz in den einstweiligen Ruhestand versetzt und, wie befürchtet, durch treue Parteisoldaten ersetzt, käme also die Frage auf, wie sie im Falle einer Wahlschlappe für die PiS entscheiden würden. Die Vorstellung ist ein Horrorszenario für die Demokratie. Deshalb kann man nur hoffen, dass die Tausenden Demonstranten mit ihren Kerzen in der Hand nicht umsonst vor das Oberste Gericht in Warschau gekommen sind.
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