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Politik

Nicht die letzten Opfer

Daniel Heinrich Kommentarbild App PROVISORISCH
Daniel Heinrich
18. Juli 2017

Der deutsche Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner ist in der Türkei verhaftet worden. Die Empörung darüber ist genauso groß, wie nutzlos. Ändern wird sich im Land bis auf weiteres gar nichts, meint Daniel Heinrich.

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Türkei Gefängnis in Sincan
Bild: Getty Images/AFP/A. Altan

Ein kurzer Blick auf die Fakten: Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner hat vor knapp zwei Wochen in der Nähe von Istanbul einen Vortrag über IT-Management und Datensicherheit gehalten. Er tat dies im Rahmen eines Workshops, der von Amnesty International organisiert worden war. Nun sitzt Steudtner in der Türkei in Haft, ebenso wie führende Mitglieder der Menschenrechtsorganisation.

Kurz nachdem dies publik geworden war, sprudelten die Meldungen nur so über die Nachrichtenticker: Viel war davon die Rede, dass Familienvater Steudtner unschuldig, dass die Vorwürfe gegen ihn haltlos seien und dass die "Unterdrückung" menschenrechtlichen Engagements in der Türkei  inzwischen ein ungeahntes Ausmaß erreicht habe.

Die türkische Regierung im Abwehrkampf

Die Mitteilungen klingen herzzerreißend, die Sozialen Netzwerke werden geflutet von Solidaritätsbekundungen. Das Traurige ist nur: All das wird die türkischen Behörden kein bisschen interessieren. Peter Steudtner und die anderen verhafteten Menschenrechtsaktivisten sind nun auch Teil einer gewaltigen Mythenkreation geworden:

Die türkische Regierung mit Präsident Recep Tayyip Erdogan an der Spitze wähnt sich spätestens seit dem niedergeschlagenen Putsch vom vergangenen Jahr im konstanten Abwehrkampf gegen innere, wie äußere "Feinde". In dieser durch Paranoia, Misstrauen und Furcht geprägten gesellschaftlichen Gemengelage zählen zu den äußeren "Feinden" auch Organisationen wie Amnesty International.

Aus Sicht türkischer Behörden ist es dabei vollkommen irrelevant, welch tadellosen Ruf solche Organisationen im Westen genießen. Im Zweifel verstärkt deren positives Image das Misstrauen der Behörden nur noch.

Anknüpfen an den Gründungsmythos der Türkei

Das Bedrohungsszenario durch äußere "Feinde" verfängt bei einem Großteil der türkischen Öffentlichkeit, es erinnert stark an den Gründungsmythos der heutigen Türkei. 

Damals, in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg, vertrieb Kemal Atatürk im "Unabhängigkeitskrieg" ausländische Imperialmächte aus dem Land und schuf die türkische Republik. Bis heute ist dieser Abwehrkampf gegen die "Feinde" von außen Teil des türkischen Geschichtsverständnisses.

Porträt Daniel Heinrich
DW-Redakteur Daniel HeinrichBild: DW/M. Müler

Die türkische Regierung von heute setzt auf dieses gesellschaftsübergreifende Phänomen: Die Angst vor einer Infiltrierung durch ausländische Mächte erscheint so eminent, dass sie, in Verbindung mit der konstanten öffentlichen Betonung eines Bedrohungsszenarios von innen, sämtliche Abwehrmechanismen gerechtfertigt erscheinen lässt.

Die Opfer dieses Verfolgungswahns mögen dabei noch so unschuldig erscheinen, wie ein Brille tragender Dozent eines IT-Management-Kurses bei einer Menschenrechtsorganisation. Das spielt keine Rolle. Etwa die Hälfte der Türken wird auch weiterhin fest hinter ihrem gewählten Präsidenten, hinter ihrer gewählten Regierung stehen.

Es ist nicht absehbar, dass sich an dieser Unterstützung etwas ändern wird. Zu groß sind insbesondere die wirtschaftlichen Vorteile, welche die AKP-Regierung vielen ärmeren Menschen verschafft hat.

EU und Bundesregierung ändern nichts

Wenig Hoffnung an den Gegebenheiten von außen etwas zu ändern, gibt auch das Verhalten der Bundesregierung und der EU-Kommission: In großem Gegensatz zu den öffentlichen Verbalschlachten der Vergangenheit scheinen sowohl Brüssel, als auch Berlin an einer Vertiefung der Beziehungen zur Türkei interessiert. Neben dem funktionierenden EU-Türkei Flüchtlingsabkommen stehen dabei vor allem wirtschaftliche Interessen im Zentrum.

Ende des vergangenen Jahres überraschte die EU-Kommission mit dem Vorschlag, die Zollunion mit der Türkei vertiefen zu wollen. Im Juni nun betonte auch der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel das deutsche Interesse an einer Ausweitung der EU-Zollunion mit der Türkei.

Tatenlosigkeit von außen, mythenhafter Abwehrkampf im Inneren: Peter Steudtner und seine Kollegen werden nicht die Letzten gewesen sein, die dem ungebremsten Verhaftungswahn in der Türkei zum Opfer gefallen sind.

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