Schock nach Verhaftung von Amnesty-Mitarbeitern
18. Juli 2017Vor knapp zwei Wochen waren zehn Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" bei einem Workshop zum Thema IT-Management und Datensicherheit in Istanbul festgenommen worden. Nun hat ein Richter entschieden, den Deutschen Peter Steudtner, die türkische Amnesty-Direktorin Idil Eser und vier weitere Personen wegen angeblicher Terrorunterstützung in Untersuchungshaft zu nehmen. Die vier weiteren Mitarbeiter seien unter Auflagen freigekommen, erklärte die Nichtregierungsorganisation.
Amnesty reagierte entsetzt auf die Vorwürfe und hofft nun auf Unterstützung aus möglichst vielen Ländern. "Alle Staats- und Regierungschefs sind gefordert, Druck auszuüben, damit Idil Eser und die anderen Menschenrechtsverteidiger sofort und bedingungslos freigelassen werden", teilte der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus N. Beeko, mit. Seine Organisation werde sich durch diese eklatante Missachtung von internationalen Menschenrechtsstandards weder einschüchtern noch entmutigen lassen, ergänzte Beeko seinen Appell.
"Absurde Vorwürfe"
Steudtners Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss hat die Vorwürfe des Richters entschieden zurückgewiesen und als "total absurd" bezeichnet. "Peter und die anderen Menschenrechtsverteidiger standen mit ihrer Arbeit für Gewaltfreiheit und den Einsatz von Menschenrechten", sagte Freudenschuss der Deutschen Welle. Die Inhalte des Workshops hätten in keiner Weise eine politische Ausrichtung gehabt. Sie hoffe nun, dass es der Bundesregierung gelinge, auf diplomatischem Wege die Freilassung der Inhaftierten zu erreichen.
Der Beschluss des Richters fällt allerdings in eine Phase der diplomatischen Eiszeit zwischen Deutschland und der Türkei. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bislang auf Entspannung im Verhältnis zu Ankara gesetzt hatte, äußerte sich noch nicht zur Verhaftung. Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert kündigte auf Twitter an, man werde sich "auf allen Ebenen" für Peter Steudtner einsetzen. Zuvor hatte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann eine aktivere Haltung Merkels gefordert. "Sie muss Erdogan unmissverständlich deutlich machen, dass es so nicht weitergehen kann. Diplomatische Pflichtübungen reichen nicht", erklärte Oppermann. Auch der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, forderte eine klare Kante der Kanzlerin. "Bei Demokratie und Freiheitsrechten darf es keine falschen Kompromisse geben", so Heil.
"Deutsche in der Türkei in Gefahr"
Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen erklärte im Deutschlandfunk, die Bundesregierung habe durch ihre Beschwichtigungspolitik gegenüber Staatschef Recep Tayyip Erdogan ihre eigenen Staatsbürger in Gefahr gebracht. Deutsche würden dem Risiko ausgesetzt, in der Türkei als "Geisel" genommen zu werden. Das Auswärtige Amt müsse daher eine Reisewarnung für die Türkei aussprechen.
Zudem sei es jetzt nötig, die EU-Beitrittsverhandlungen und die damit verbundenen Zahlungen zu stoppen, keine Waffen mehr an die Türkei zu liefern sowie das Netzwerk Erdogans in Deutschland zu zerschlagen.
Noch kein Fortschritt im Fall Yücel
Seit dem gescheiterten Staatsstreich vor einem Jahr geht die türkische Regierung mit großer Härte gegen Kritiker, Oppositionelle und mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Mehr als 50.000 Menschen wurden seitdem festgenommen, über 100.000 Staatsbedienstete entlassen oder suspendiert. Betroffen sind nicht nur Soldaten, Polizisten, Staatsanwälte oder Richter, sondern auch kurdische und andere Oppositionelle, kritische Journalisten und unabhängige Wissenschaftler.
Für großes Aufsehen hierzulande sorgte zuletzt die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Der Korrespondent der "Welt" sitzt seit Mitte Februar wegen angeblicher Terrorunterstützung im Gefängnis. Ende April wurde zudem die türkischstämmige Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu unter dem Vorwurf der "Terrorpropaganda" festgenommen.
djo/cr (afp, dpa, Dlf24)