Vertrauen zurückgewinnen im Sahel
Es bedurfte eines zweiten Anlaufs: Schon im Dezember wollte der französische Präsident Emmanuel Macron die Staatschefs der fünf Sahelländer Burkina Faso, Mali, Tschad, Mauretanien und Niger im südfranzösischen Pau versammeln, um dort mit ihnen über den Anti-Terrorkampf und anti-französische Ressentiments zu sprechen. Dann aber wurde der Gipfel in letzter Minute verschoben. Offiziell wegen eines Anschlags im Niger. Gemunkelt wurde aber, dass die westafrikanischen Staatschefs verstimmt waren über die Art, wie Macron sie eingeladen hatte. Eine Einladung, die viele Bürger dieser Länder eher an eine Vorladung erinnert habe.
Das Verhältnis zwischen Frankreich und Afrika ist kompliziert: "Françafrique" heißt die französische Afrika-Politik, die sich auf ein weit verzweigtes Netz von Entscheidungsträgern, Unternehmern und anderen Partnern stützt. Es geht dabei in den Augen vieler frankophoner Afrikaner um Unterstützung von Diktatoren im Tausch gegen den französischen Zugriff auf die Ressourcen des Kontinents. Auch Militärkooperation zählt für manch einen zu diesem System. Eine schwierige Beziehung also, und kein Wunder, dass die französischen Präsidenten der jüngeren Vergangenheit alle versucht haben, sich von Françafrique zu distanzieren.
Frankreich erhöht abermals seine militärische Präsenz
Doch die Bindungen sind eng geblieben, politisch, wirtschaftlich und militärisch. Frankreich ist in der UN-Mission Minusma in Mali präsent und hat 4500 Soldaten für die Anti-Terror-Mission Barkhane in den Sahel entsendet. Die Beziehungen zur afrikanischen G5-Sahel-Mission, einer Organisation der fünf Länder Burkina Faso, Mali, Tschad, Mauretanien und Niger für Armutsbekämpfung und mehr Sicherheit, sind ebenfalls eng. Nach dem Willen der jetzt in Pau anwesenden Sahel-Staatschefs soll das - selbst gegen den Willen vieler ihrer Landsleute - auch so bleiben. Gemeinsam mit Frankreich und anderen Partnern kündigten sie eine sogenannte Koalition für den Sahel an. Frankreich entsendet dafür 220 weitere Soldaten.
Noch mehr Soldaten, noch eine "Mission" mehr, ist der erste Gedanke. Doch was man auch immer über die Rolle Frankreichs in Afrika denken mag - klar ist auch, dass die Sahel-Länder die Krise nicht allein lösen können: Die nationalen Armeen sind schlecht ausgebildet, die regionale G5- Sahel-Mission ist unterfinanziert, und der Staat ist in weiten Teilen der vom Terror betroffenen Sahelländer abwesend. Polizei? Justiz? Krankenhäuser und Schulen? Regierungsvertreter? Alles Fehlanzeige. Diese Abwesenheit von Staatlichkeit nutzen Dschihadisten ebenso aus wie ethnische Spannungen und die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen, von denen viele nur noch weg wollen. Die Terroristen suggerieren jedoch, in ihren Reihen gebe es Sicherheit, einen guten Job und ein hohes Selbstwertgefühl.
Dem hat Frankreich trotz aller Militärpräsenz nichts entgegen zu setzen. Die Soldaten hinken den Terroristen und deren Verbündeten in der Bevölkerung, aber auch in kriminellen Netzwerken, immer mindestens einen Schritt hinterher.
Mit Waffen allein lässt sich die Terrorkrise nicht lösen
Beinah täglich gibt es inzwischen Anschläge im Sahel. 2019 waren es laut der Denkfabrik "Africa Center for Strategic Studies" rund 700 mit mehr als 2000 Toten. Hinter all diesen Toten stecken tragische Geschichten von Familien, die einen geliebten Menschen verloren haben, vielleicht Rachegedanken hegen, verzweifelt sind und jedes Vertrauen in Staat und Politik verloren haben. Das treibt den Dschihadisten neue Anhänger zu. Das Vertrauen in Staat und Politik muss also wiederhergestellt werden. Das haben die Staatschefs verstanden und in die Abschlusserklärung von Pau geschrieben. Ein wichtiger Schritt, denn allein mit Waffen lässt sich die Terrorkrise im Sahel nicht lösen. Der Staat muss sich endlich um all seine Menschen kümmern - nicht nur um die in den Hauptstädten und drum herum.
Aber noch eines muss klar sein: Ohne die politische Krise in Libyen zu lösen, wird auch der Sahel nicht zur Ruhe kommen. Denn so lange der Machtkampf in dem nordafrikanischen Land schwelt, kommt von dort Nachschub an Waffen und an Dschihadisten. Und um die Libyen-Krise zu lösen, muss Europa an einem Strang ziehen. Den Ruf des französischen Präsidenten nach mehr deutschem Engagement im Sahel hat Berlin bislang abgeschlagen. Nun will die deutsche Regierung sich um eine Lösung für Libyen bemühen. Immerhin. Dabei aber sollte sie Frankreich so stark wie möglich einbeziehen und auch die Zusammenhänge zwischen Krise und Terror herstellen. Erst wenn die Europäer an einem Strang ziehen, haben sie eine Chance, dem Einfluss Russlands, Ägyptens oder der Vereinigten Arabischen Emirate etwas entgegenzusetzen. Und nur dann gibt es eine Chance auf Frieden für Libyen und für den Sahel.