Kuba ohne die Castros
16. April 2021Nach mehr als 60 Jahren geht die Ära Castro auf Kuba endgültig zu Ende. Auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) vom 16. bis 19. April in Havanna verabschiedet sich nun auch Raúl Castro aus der Politik und gibt den Vorsitz der Partei ab.
Der mittlerweile 89-Jährige hatte im August 2006 zunächst vorläufig und dann 2008 auch definitiv alle Ämter seines Bruders Fidel Castro übernommen. Wird der Generationenwechsel die kubanische Politik verändern?
Auch wenn das Jahr 2021 als Schlüsseljahr in die Geschichte der kommunistischen Karibikinsel eingehen könnte - noch scheint Kuba ohne die Castros undenkbar. So eroberten kubanische Revolutionäre unter ihrer Führung am 1. Januar 1959 die Hauptstadt Havanna und machten damit der Diktatur des von den USA unterstützten Machthabers Fulgencio Batista ein Ende.
Raúl Castro gehörte zu den Kämpfern der ersten Stunde. Die Revolution schweißte die beiden Brüder ideologisch und politisch zusammen und führte zu einer lebenslangen Kooperation. Raúl Castro stand dabei zwar stets im Schatten seines Bruders Fidel, leistete aber ab 1959 als Minister der Revolutionären Streitkräfte und Vizepräsident des Staatsrates seinen Beitrag zum "Socialismo tropical".
Raúl Castro war es auch, der nach der Revolution die Annäherung Kubas an die Sowjetunion betrieb. Moskau nahm bereits 1960 diplomatische Beziehungen zu dem kommunistischen Land auf. Nachdem die USA im Oktober 1960 den Erdölexport nach Kuba verboten und jegliche Einfuhren aus Kuba in die USA untersagten, erschien Moskau mitten im Kalten Krieg als wichtige wirtschaftliche und politische Schutzmacht.
Mit dem ab Oktober 1960 verhängten Embargo begann die bis heute gültige US-Handelsblockade gegen Kuba. Der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower verhängte das Embargo als Vergeltung für die entschädigungslose Enteignung von US-Agrarland, Banken und Raffinerien auf Kuba.
Was mit dem Exportverbot von Erdöl aus den USA nach Kuba und dem Einfuhrverbot von kubanischem Zucker in die USA begann, weitete sich in den kommenden Jahren immer stärker aus und verstärkte die Versorgungsengpässe auf der Insel.
So verschärfte der US-Kongress 1992 das Embargo mit dem sogenannten "Cuban Democracy Act". Das Gesetz sah vor, dass US-Firmen auch in Drittländern nicht mehr mit Kuba Handel betreiben durften, und die meisten Charterflüge zwischen Miami und Havanna eingestellt werden mussten.
Ein Jahr später forderte die UN-Vollversammlung mit 88 Stimmen und 57 Enthaltungen die USA auf, das Embargo endlich aufzuheben. Doch Washington blieb hart. Im November 2018 votierte die UN-Vollversammlung erneut für die Abschaffung. Doch das Gegenteil trat ein. Unter US-Präsident Donald Trump wurden die Sanktionen gegen Kuba sogar noch weiter verschärft. Trump machte nicht nur die Hoffnung auf ein Ende des Embargos zunichte, sondern auch die auf eine Wiederannäherung zwischen den beiden verfeindeten Ländern.
Dabei hatte nur wenige Jahre zuvor noch alles ganz anders ausgesehen: Mit Hilfe der Vermittlung von Papst Franziskus kam es 2014 zu einem persönlichen Austausch zwischen Raúl Castro und US-Präsident Barack Obama, der zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Kuba am 20. Juli 2015 führte.
Obama reiste am 20. März 2016 als erster US-Präsident seit 88 Jahren zu einem Staatsbesuch nach Havanna und wurde begeistert empfangen. Er lockerte einige Beschränkungen des US-Embargos, die er ohne die Zustimmung des US-Kongresses beschließen konnte. So erleichterte er Reisen für US-Bürger und Investitionen für US-Firmen. Außerdem strich er Kuba von der US-Liste der Terrorstaaten.
Kuba-Experten wie Bert Hoffmann vom Giga-Institut in Hamburg verweisen seit Jahren auf die kontraproduktive Wirkung des Embargos. Dieses habe nicht nur den Castro-Brüdern zur Festigung ihrer Macht verholfen, da sie ihre autoritäre Herrschaft stets mit Verweis auf die drohende Gefahr aus den USA rechtfertigen konnten.
Die Blockade trage außerdem dazu bei, dass die US-Firmen den in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Markt an Konkurrenten aus Russland und China verlören. Der chinesische Konzern Huawei ist zum Beispiel am Ausbau der Internet-Infrastruktur auf Kuba beteiligt.
Nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion stand Kuba kurz vor dem wirtschaftlichen Aus. Zwischen 1989 und 1992 schrumpfte die Wirtschaft des Landes um 50 Prozent, Stromausfälle und Versorgungsengpässe waren an der Tagesordnung, Fabriken mussten schließen. In dieser sogenannten "Sonderperiode" sahen sich die Castro-Brüder gezwungen, die Wirtschaft für private Initiativen zu öffnen und sogenannte freie Bauernmärkte zuzulassen, die eigentlich seit 1986 verboten worden waren.
In die Zeit dieser "Sonderperiode" fiel auch der Besuch von Papst Johannes Paul II., der am 21. Januar 1998 auf Kuba landete. Das Treffen des polnischen Antikommunisten aus dem Vatikan mit Fidel Castro galt als Sensation. Castro suchte im Papst einen Verbündeten in seinem Kampf gegen den Kapitalismus und die übermächtigen USA und war bereit, dafür einige Konzessionen zu machen.
So führte der "Comandante en Jefe" und bekennende Atheist vor der Ankunft des Papstes die Weihnachtsfeiertage wieder ein und ließ Hunderte von Dissidenten frei. Die Position der katholischen Kirche wurde durch den Besuch gestärkt; sie kam unter anderem in den Genuss knapper Papiervorräte und konnte somit Gemeindebriefe drucken, die auch oppositionellen Kräften auf der Insel eine Plattform boten. Dadurch entwickelte sie sich zu einer Vermittlerin zwischen Regierung und Opposition.
Die Vermittlung des Treffens zwischen Raúl Castro und US-Präsident Barack Obama 2014 durch Papst Franziskus hat eindrücklich gezeigt, wie gut der Draht zwischen Havanna und dem Vatikan mittlerweile funktioniert. Als Vize trug US-Präsident Joe Biden damals die Wiederannäherung zwischen Washington und Havanna mit. Als Katholik und Anhänger von Papst Franziskus zitiert Biden zudem immer wieder die Positionen des Papstes zum Klimawandel sowie zur Solidarität mit den Armen und Flüchtlingen.
Kuba-Experte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) geht davon aus, dass die Kuba-Politik Bidens einen "entscheidenen Einfluss darauf hat, wie schnell und in welcher Form sich der Wandel nach dem Rückzug von Raúl Castro auf Kuba vollziehen wird."
Ein Projekt seines Vorgängers Obama will Biden auf jeden Fall zu Ende führen: Die Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers Guantánamo. Das Lager wurde 2002 auf dem Marinestützpunkt in der Guantánamo-Bucht errichtet. Das Gebiet wurde 1903 vom kubanischen Staat an die USA verpachtet, Havanna betrachtet den Vertrag jedoch als ungültig. Zurzeit sitzen noch etwa 40 Häftlinge dort ein. Für die Schließung ist Biden auf die Zustimmung des US-Kongresses angewiesen.
Während in den USA ein "alter Hase" ins Weiße Haus eingezogen ist, vollzieht sich auf Kuba nach 62 Jahren Herrschaft unter den Castro-Brüdern ein Generationenwechsel. Der neue Chef der Kommunistischen Partei Kubas, der auf dem 8. PCC-Kongress vom 16. bis 19. April gewählt wird, wird nicht mehr auf den Namen Castro hören. Die sozialistische Insel wird inmitten von Pandemie, Wirtschaftskrise und Währungsreform einen neuen Kurs finden müssen.
Und das wohl wichtigste und weltweit anerkannte Erbe der Revolution verteidigen: das kubanische Gesundheitssystem. Die Gesundheitsversorgung hat nicht nur dazu geführt, dass Kuba bei allen medizinischen Indikatoren gleichauf mit reichen Industrieländern liegt. Sie hat auch dazu beigetragen, dass kubanische Ärzte und Krankenpfleger und -pflegerinnen weltweit bei der Bekämpfung von Epidemien im Einsatz sind.