F.W. Murnau im Münchner Lenbachhaus
25. Oktober 2016Deutsche Welle: Frau Althaus, ein Filmregisseur im Kunstmuseum - wie geht das?
Karin Althaus: Natürlich stehen alle visuellen Künste nicht unverbunden da. Künstler gehen ja auch ins Kino - und umgekehrt. Bei Murnau ist das sehr speziell, weil er Kunstgeschichte studiert hat und man kann seinen Filmen das auch sehr gut ansehen. Gleichzeitig sind die Künstler der 1920er und 1930er Jahre sehr, sehr viel ins Kino gegangen, gerade Künstler des Lenbachhauses wie Gabriele Münter oder Rudolf Schlichter.
Hier hat eine gegenseitige Beeinflussung stattgefunden, das ist unbestritten. Wir wollten allerdings keine reine Einfluss-Geschichte zeigen, sondern eher aus der Sicht heutiger Künstler und Filmemacher den Blick auf Murnau werfen.
Sein Name hat ja auch viel mit dieser Geistesverwandtschaft zu tun…
Friedrich Wilhelm Plumpe, 1888 in Bielefeld geboren, hat sich einen anderen Namen gegeben! Das ist belegt, spätestens Weihnachten 1910 hieß er Murnau. Es ist ziemlich sicher, dass er davor einen ganz tollen Sommer in Murnau in Oberbayern verbracht hatte. Das war wahrscheinlich der Auslöser für den Namenswechsel. Murnau war damals so eine Art "Hot-Spot" für die Kunstszene, die Künstler des "Blauen Reiter" waren zum Beispiel da, auch Max Reinhardt hat in diesem Sommer Shakespeares "Sommernachtstraum" im Freilichttheater aufgeführt. Es war damals ein ganz ganz wichtiger und auch schöner und lebendiger Ort.
Was genau zeigt die Ausstellung?
Im Zentrum der Ausstellung stehen fünf Filmessays, Auseinandersetzungen zeitgenössischer Filmemacher und Filmemacherinnen mit Murnau. Das sind Alexander Kluge, Ulrike Ottinger, Guy Maddin & Evan Johnson, Luc Lagier und ein Team der Filmhochschule. Die haben sich jeweils einen Film von Murnau ausgesucht, um sich mit diesem auseinanderzusetzen. Das macht die Ausstellung vor allem aus.
Alles andere Material, was wir zeigen, ist von den fünf Filmen geleitet: Wir zeigen Zeichnungen, Szenografie-Zeichnungen, Entwürfe, Plakate zu "Faust", zu "Nosferatu", wir zeigen Murnau als Fotografen, wir zeigen sehr viele Exponate, die ebenso einen künstlerischen Anspruch haben oder Träger der filmischen Visionen sind.
Wie hat sich zum Beispiel der Regisseur und Autor Alexander Kluge Murnau genähert?
Kluge hat sofort zugesagt, als es darum ging, Murnau eine Hommage zu widmen. Er hat sich dann aber sehr lange überlegt, was er überhaupt machen will. Er war der Meinung, dass Murnau als Regisseur so unglaublich perfekt und vollkommen ist, dass seine Arbeiten in sich so geschlossen sind, dass man da als Essayist nicht einfach eingreifen kann.
Er hat sich dann für Murnaus "Faust"-Film entschieden. Er fand, das sei das Thema, ein so großer Stoff, dass auch Friedrich Wilhelm Murnau in seiner Bearbeitung nur eine Auswahl treffen konnte. Da hat Kluge Anschlussmöglichkeiten gesehen für seine Art des Filmessays. Das ist ein typischer Kluge-Film geworden. Schön auch, weil er Aspekte aus dem "Faust" herausgreift, die vielleicht nicht so beachtet werden wie die Gretchen-Geschichte zum Beispiel, die für Kluge eine der berührendsten Umsetzungen der Gretchen-Tragödie überhaupt ist.
Die Filmregisseurin und Künstlerin Ulrike Ottinger ist ja eine Weltreisende in Sachen Film - was hat sie beigesteuert?
Ulrike Ottinger habe ich ursprünglich angefragt, weil ich dachte, dass vor allem die Südseereise von Murnau sie sehr interessieren würde, auch das Reisen an sich. Auch das Thema Schifffahren ist ja für sie etwas ganz wichtiges. Das hat sich dann auch bestätigt. Sie hat sich sofort für den Film "Tabu" entschieden, den letzten Film, den Murnau gedreht hat. Nach seiner Enttäuschung in Hollywood ist er ja für eineinhalb Jahre in die Südsee nach Tahiti gefahren, auf seinem Boot "Bali", und dort hat er seinen Film gedreht.
Ulrike Ottingers ethnografische Zugang wirft da Parallelen auf. Das ist wirklich sehr interessant, weil sich auch die frühen Filme von Ottinger wie zum Beispiel "Madame X: Eine absolute Herrscherin" (1978), die stärker inszeniert sind, an Ritualen orientieren. Die passen unglaublich perfekt zu Murnaus "Tabu". Es gibt da Parallelen von Gesten, Themen wie Leid, Verzweiflung, Hochzeit, Tänze, Fischfang. Das hat sie zu einer sehr schönen spielerischen Collage zusammengesetzt, die auch von einem ganz tollen Soundtrack begleitet wird.
Warum inspiriert gerade Friedrich Wilhelm Murnau, ein Regisseur, dessen Werk schon vor so vielen Jahrzehnten entstand, gerade heute noch Künstler und Regisseure nachfolgender Generationen?
In den Gesprächen ist mir aufgefallen, dass die Bewunderung für Murnau wirklich sehr, sehr groß, ja vielleicht absolut ist. Murnau hat einerseits einen unendlichen Reichtum in seinen Filmen, jeder ist auch anders. Es gibt eigentlich keinen sofort erkennbaren Murnau-Stil.
Und trotzdem gibt es etwas, was diese Filme verbindet. Das liegt in einer gewissen Präzision und Sensibilität: Wie er mit Bildern und den Möglichkeiten des Films umgeht! Er hat es ja beispielsweise auch geschafft, Geschichten zu erzählen ohne Zwischentitel, was sehr bemerkenswert ist. Dieser Reichtum, diese Sensibilität und dieser Rückgriff auf den gesamten Bilder-Fundus der Welt ist etwas, was heutige Regisseurinnen und Regisseure immer noch inspiriert.
Die Ausstellung "Friedrich Wilhelm Murnau - Eine Hommage" im Münchner Lenbachhaus ist bis zum 26.2.2017 geöffnet. Die Filmschau im Filmmuseum München mit sämtlichen erhaltenen Murnau-Filmen in den derzeit besten Fassungen und mit Live-Musik startet am 8. Januar 2017.