Lateinamerika und sein Corona-Drama
13. März 2021Es ist der verzweifelte Versuch, den Ansturm von Patienten auf Limas Krankenhäuser aufzuhalten: In Perus Hauptstadt fahren seit Januar jede Nacht sogenannte Gesundheitsbrigaden durch die Armenviertel, um COVID-19-Patienten zu betreuen und deren Familienangehörige auf Corona zu testen.
Die Lage in dem Andenstaat ist dramatisch. Nach Angaben der Plattform OpenCovid-Peru sind von den 2021 Intensivbetten im Land nur noch 116 frei. Und nur acht dieser Betten befinden sich in Lima, wo neun Millionen Menschen leben.
"Die Zahlen sind so dramatisch, dass sie einen Kollaps des gesamten nationalen Gesundheitssystems auslösen können", erklärte der Infektiologe Juan Villena, Dekan der medizinischen Fakultät in Lima, kürzlich in einem Interview mit der DW.
Zu wenig Intensivbetten
Mit 2,58 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner liegt Peru nach einer Untersuchung der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS) vom Mai 2020 im Ranking südamerikanischer Länder an vorletzter Position. Die Corona-Todesrate im Land ist die dritthöchste weltweit.
In dem Andenstaat bündeln sich die Probleme Lateinamerikas bei der Pandemiebekämfpung wie unter einem Brennglas. Mit wenigen Ausnahmen, wie in Uruguay, Kuba und Argentinien, sind alle öffentlichen Gesundheitssysteme unterfinanziert.
Auch die komplexe Vielfalt von Erkrankungen erschwert die Lage. Denn neben den sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Herzleiden, die in Industrieländern dominieren, sind in Lateinamerika weiterhin endemische Krankheiten wie Malaria stark verbreitet (siehe Grafik).
Krankheitsfaktor Gewalt
Hinzu kommt ein spezifisch lateinamerikanisches Problem: Gewalt. Obwohl in der Region nur acht Prozent der Weltbevölkerung lebten, ereignen sich dort ein Drittel der weltweiten Mordfälle. Opfer von Überfällen, Schießereien und Misshandlungen werden in den meisten Fällen in der Notaufnahme behandelt, der Tod wird häufig erst dort festgestellt.
"Die lateinamerikanischen Gesundheitssysteme müssen auf extrem unterschiedliche Szenarien reagieren, das Panorama reicht von Bluthochdruck und Diabetes bis zu Malaria, Denguefieber und Zika", erklärt Miguel Lago, Direktor des Instituts für gesundheitspolitische Studien in Rio de Janeiro (IEPS).
Lago prophezeit, dass Corona zum Anstieg der Todesraten auch bei anderen Krankheiten führen wird. "Weil kein Geld für neue Investitionen in die öffentliche Gesundheitsversorgung da ist, werden die vorhandenen Mittel zugunsten von Corona-Patienten umgeschichtet", so Lago. Dadurch stehe für andere Patienten kein Budget mehr zur Verfügung.
Im Schatten von COVID-19
Genau dies ist in Peru bereits der Fall. Nach Berichten der Online-Ausgabe der peruanischen Tageszeitung "Gestión" sind die Behandlungskapazitäten im öffentlichen und privaten Sektor für Patienten mit anderen Krankheiten drastisch heruntergefahren worden und liegen zurzeit nur noch bei 20 bis 50 Prozent der ursprünglichen Versorgung.
"Die Versorgung hat sich enorm reduziert", erklärte der Vorsitzende der peruanischen Ärztevereinigung, Godofredo Talavera, gegenüber der Zeitung. "Das ist nicht in Ordnung, denn es gibt weiterhin Menschen mit anderen Krankheiten als Corona." Statt sechs Tage in der Woche würden sich Kliniken und Arztpraxen nur ein- bis zweimal um diese Patienten kümmern.
Die Konsequenz: Im Schatten der Corona-Pandemie steigen auch die Todeszahlen von Patienten ohne COVID-19-Infektion. In Peru beispielsweise vervierfachte sich zwischen dem 1. Januar und 17. Februar dieses Jahres die Anzahl der täglichen Corona-Todesfälle von 59 auf 252. Doch ihr Anteil an der Gesamtzahl der täglichen Todesfälle stieg nicht über 22 Prozent.
Dies bedeutet, dass die Haupttodesursachen in der Region trotz Corona weiterhin bei den sogenannten Zivilisationskrankheiten liegen. Bereits vor Corona war die gesundheitliche Versorgung in Lateinamerika nicht ausreichend. "In Südamerika waren die Gesundheitssysteme noch weniger auf eine Pandemie vorbereitet als im Rest der Welt", heißt es in einer Untersuchung der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation OPS.
"Vacunagate", Perus Impfskandal
Trotz sinkenden Infektionszahlen seit Anfang März ist die Hoffnung auf Besserung in Peru verhalten. Das Land wurde in den vergangenen Wochen von einem Ärzte-Streik und einem Impfskandal erschüttert. Rund 500 peruanische Politiker hatten sich beim Impfen gegen Corona vorgedrängelt.
Die peruanischen Präsidentschaftswahlen am 11. April finden daher in einem angespannten politischen Klima statt. Die Bilanz der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation für die Region fällt insgesamt bitter aus.
"Auf die Gesundheitssysteme in Südamerika werden die kollateralen Effekte der Pandemie zukommen", heißt es in dem Bericht. Dazu gehören die fehlende Versorgung mit sauberem Trinkwasser, Überbelegung in Krankenhäusern, Gewalt, Arbeitslosigkeit und saisonale Krankheiten."