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Startschuss der Sozialisten

Bernd Riegert28. Februar 2014

Die europäischen Sozialisten starten in Rom in den Wahlkampf zur Europawahl im Mai. Der deutsche Martin Schulz wird zum Spitzenkandidat gekrönt und will dann an die Macht. Sein Ziel: Präsident der EU-Kommission werden.

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Martin Schulz Parteitag der SPE in Rom
Bild: Reuters

"Europa hat bei vielen Leuten den gleichen Ruf wie Schweißfüsse", hatte Martin Schulz vor einigen Wochen Brüssler Korrespondenten frustriert gesagt. Doch der Präsident des Europäischen Parlaments will nicht aufgeben, sondern im Wahlkampf erklären, warum Europa nicht überflüssig sei. An diesem Samstag (01.03.2014) lässt sich der 58-jährige Schulz in Rom zum Spitzenkandidaten der Sozialisten und Sozialdemokraten in ganz Europa küren. Er ist der einzige Kandidat auf dem Parteikongress, der den Auftakt zum Kampf um die 751 Sitze im Europaparlament markiert. Zum ersten Mal treten die europäischen Sozialdemokraten aus allen 28 Mitgliedsländern mit einem gemeinsamen Kandidaten an. Die Konservativen bestimmen ihren Kandidaten in der kommenden Woche. Der Gegner von Martin Schulz wird wohl Jean-Claude Juncker heißen, der ehemalige Ministerpräsident von Luxemburg.

Zum ersten Mal erhebt der Spitzenkandidat Anspruch auf das höchste Verwaltungsamt in der EU: Martin Schulz will Präsident der mächtigen Exekutive, der EU-Kommission, werden. Die Amtszeit des jetzigen konservativen Präsidenten Jose Barroso endet im November. Zum ersten Mal müssen die Staats- und Regierungschefs bei der Nominierung des Kommissions-Präsidenten Rücksicht auf das Wahlergebnis bei der Europawahl nehmen. Bislang konnten die EU-Granden das Personaltableau ungestört in vertraulichen Sitzungen auskungeln. Der neue Grundlagen-Vertrag der EU von Lissabon schreibt erstmals vor, dass das Europäische Parlament den Kommissionspräsidenten auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs wirklich wählt. Diese Chance haben die Wahlkampfberater von Martin Schulz erkannt. Die Wahl soll personalisiert werden.

Barroso mit Schulz bei der Rede zur Lage der Union 2013 (Foto: Getty Images)
"Ich will den Job" - Parlamentspräsident Schulz begrüßt den scheidenden Kommissionspräsidenten Barroso (li.)Bild: Frederick Florin/AFP/Getty Images

Martin Schulz muss noch einige Hürden nehmen

Die eher faden Europawahlen, die bisher unter einer geringen Wahlbeteiligung litten, sollen aufgepeppt, ja richtiggehend spannend werden, freuen sich die Organisatoren in den Parteizentralen. "Die Europa-Wahl bekommt Gesichter", formuliert Martin Schulz. Mit Schulz und Jean-Claude Juncker treten zumindest zwei Männer aus den beiden größten politischen Lagern an, die man auch jenseits ihrer Heimatländer kennt. "Europa muss mehr Demokratie wagen", sagt dazu Udo Bullmann, der Chef der deutschen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.

Dass das Bundesverfassungsgericht mit der Aufhebung der Sperrklausel bei den Europawahlen kleinsten Parteien und Splittergruppen einen Weg nach Straßburg geebnet hat, findet Martin Schulz nicht prickelnd, aber er sagt, diese Wahl werde so oder so eine Richtungsentscheidung, und zwar zwischen Sozialisten und Konservativen.

Im Moment bilden die Konservativen die größte Fraktion im Europäischen Parlament. Erste Meinungsumfragen sehen einen knappen Vorsprung der Sozialisten voraus oder zumindest ein unentschiedenes Kopf-an-Kopf-Rennen. Die heimische SPD, deren Spitzenkandidat er auch ist, holte bei den letzten Europawahlen gerade einmal 20,8 Prozent. Aus Deutschland braucht Kandidat Schulz mehr Rückenwind. Und er braucht die deutsche Bundeskanzlerin.

Die CDU-Politikerin Angela Merkel hat als Vertreterin des größten EU-Mitgliedslandes ein wichtiges Wörtchen mitzureden, wenn das europäische Spitzenpersonal ausgeguckt wird. Martin Schulz rühmt sich, dass er in europapolitischen Fragen einen guten Draht – zumindest per Telefon – zur Kanzlerin habe. Da Merkel in Berlin eine große Koalition aus CDU, CSU und SPD führt, könnte sie sich am Ende für den SPD-Mann Schulz aussprechen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem EU-Parlament in Brüssel mit Martin Schulz (Foto: Reuters)
Ohne sie geht es nicht: Schulz braucht den Segen von Kanzlerin MerkelBild: Reuters

Klinkenputzen und twittern: Obama als Vorbild

Zum ersten Mal muss die PES, die Partei der europäischen Sozialisten, in allen 28 Mitgliedsländern einen gemeinsamen Wahlkampf auf die Beine stellen. "Unser Vorbild ist die Kampagne von Barack Obama", erläutert Pressesprecher Brian Synnott. Wie der jetzige US-Präsident wollen die Sozialisten mit Web-Auftritt, Facebook, Twitter und intensivem Klinkenputzen an den Haustüren die Wähler mobilisieren. "Wir brauchen nur fünf Prozent mehr Wahlbeteiligung, damit die Sozialisten stärkste Kraft im Parlament werden", rechnet Wahlkampf-Organisator Synnott vor. "Knock the vote" haben die Sozialisten die Kampagne getauft. Tausende freiwilliger Helfer sollen in den nächsten 90 Tagen bis zur Wahl buchstäblich an Millionen Türen klopfen, um Wähler zu mobilisieren. Dazu kommen die klassischen Wahlkampfveranstaltungen auf Plätzen und in großen Hallen.

Erstmals wird aber der Kandidat, also Martin Schulz, ganz im Zentrum stehen. "Wir haben Anfragen aus allen EU-Staaten und Martin wird alle 28 Länder besuchen", versichern die Wahlkampfmanager. Trotz des Termindrucks und möglicher Interessenkonflikte will Martin Schulz sein Amt als Parlamentspräsident nicht ruhen lassen. Er wird seine Pflichten bis zum letzten Tag erfüllen. Damit seien auch alle großen politischen Gruppen im Parlament einverstanden, heißt es aus Schulz' Umgebung.

Welche Länder tatsächlich der Schwerpunkt der Kampagne werden und wo die meisten potenziellen Wähler sitzen, darauf will sich die Partei PES in Rom noch nicht festlegen. "Aber natürlich braucht man vor allem die großen Mitgliedsländer, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, wo die meisten Sitze zu holen sind", so Brian Synnott. Unklar ist noch, ob das Gesicht von Martin Schulz überall in Europa auf Plakaten und in Fernseh-Werbespots zu sehen sein wird. "Das kann jede Partei in jedem Land selbst entscheiden", antwortet Brian Synnott vom Wahlkampf-Team ausweichend.

Nicht in jedem Land ist Martin Schulz, der oft kein Blatt vor den Mund nimmt und der auch anecken kann und will, offenbar der reinste Sympathieträger. Martin Schulz selbst hat das erfahren. Er erzählte, dass eine junge Französin ihn bei einer Veranstaltung in Straßburg gefragt habe, ob denn ausgerechnet ein Deutscher für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten kandidieren müsse. Vorbehalte gegen das wirtschaftlich dominierende Land in der EU spielen immer noch eine Rolle.