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Kontrolliert die Kontrolleure!

DW Kommentarbild Kate Ferguson
Kate Ferguson
4. Mai 2021

Das Wirecard-Debakel in Deutschland ist nur ein Beispiel für einen Skandal, der hätte vermieden werden können, wenn die zuständigen Kontrollinstanzen ihren Job tatsächlich gemacht hätten, meint Kate Ferguson.

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Die Fassade des Firmensitzes von Wirecard im bayrischen Aschheim nahe München
Am Firmensitz im bayrischen Aschheim ist durch die Wirecard-Pleite eine Welt zerbrochenBild: picture-alliance/SvenSimon/F. Hoermann

Was würden Sie tun, wenn Sie sicher wären, ungestraft damit durchzukommen? Vielleicht eine Bank ausrauben? Sich eine wilde Affäre gönnen? Oder würden Sie sich vielleicht für den Rest Ihres Lebens nur noch von Zuckerwatte ernähren?

Es ist allerdings ziemlich wahrscheinlich, dass Sie nichts von alledem tun. Denn das Risiko, verhaftet zu werden, Ihre Ehe zu zerstören oder Typ 2-Diabetiker zu werden, ist einfach zu hoch. Ohnehin ist allein die Frage für die meisten von uns eher hypothetisch. Hat uns das Leben doch gelehrt, dass schlechtes Verhalten in der Regel nicht ungestraft bleibt.

"Im Allgemeinen" bedeutet nicht "immer"

Allerdings gibt es auch bemerkenswerte Ausnahmen von dieser Regel. In den vergangenen Jahren haben das drei große Skandale in Deutschland sehr konkret belegt.

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DW-Redakteurin Kate Ferguson

Da ist zum einen der Volkswagen-Konzern, der sich über Umweltauflagen hinwegsetzte, indem er in bis zu elf Millionen Fahrzeuge Schummelsysteme einbaute, mit denen die Abgaswerte manipuliert wurden. Dann ist da der junge deutsche Reporter Claas Relotius, der eine höchst erfolgreiche journalistische Karriere machte, indem er ganze Geschichten oder Elemente seiner Geschichten fälschte und frei erfand. Und schließlich ist da noch Wirecard, der Zahlungsdienstleister, der sein Geschäft auf 1,9 Milliarden Euro (2,3 Milliarden Dollar) Vermögenswerten aufbaute, die gar nicht existierten.

In all diesen Fällen wurde die Täuschung lange Zeit reichlich belohnt: Im Geschäftsbericht 2014 brüstete sich Volkswagen mit zahlreichen Auszeichnungen für den Umweltschutz. Claas Relotius gewann einen renommierten Preis nach dem anderen für seine Reportagen. Und Wirecard stieg zum Tech-Liebling der deutschen Finanzwelt auf.

Unterstützt von vielen

Der Zuspruch kam jeweils von besonders hoher Stelle. Im Jahr vor dem Abgaskandal kürte "Autotest", ein einflussreiches Magazin für Autokäufer, und "Ökotrend", ein bekanntes Umweltforschungsinstitut, zwei Volkswagen-Pkw zu den "umweltfreundlichsten Fahrzeugen" über alle Klassen hinweg. Claas Relotius wurde 2014 zum CNN-Journalisten des Jahres gewählt, erhielt den Europäischen Presse-Preis und gleich viermal den Deutschen Reporterpreis. Wirecard erhielt Beifall von höchster politischer Stelle, unter anderem von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich bei einer Chinareise 2019 für das Unternehmen einsetzte.

Die Lügen setzten sich über Jahre hinweg ungemindert fort. Den Faktencheckern des "Spiegel", der als Spitzenadresse des investigativen Journalismus in Deutschland gilt, fielen Relotius' Fiktionen nicht auf. EY, eine der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Welt und zuständig für die Prüfung von Wirecard, stellte dem Unternehmen Jahr für Jahr ein gutes Zeugnis aus. Und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stärkte dem Unternehmen bis unmittelbar vor dem Zusammenbruch den Rücken.

Täuschung im großen Stil

Aufgedeckt wurde jeder der Skandale von vergleichsweise unbedeutenden Kräften. Drei Studenten des "Center for Alternative Fuels Engines and Emissions" im US-Bundesstaat West Virginia entlarvten den Betrug von Volkswagen unwissentlich, als sie Daten zum Stickoxidausstoß von zwei VW-Modellen veröffentlichten. Ihre Studie war bereits seit anderthalb Jahren veröffentlicht, als der Dieselgate-Skandal losbrach.

Juan Moreno, ein in Spanien geborener Redakteur des "Spiegel", der nicht annähernd das Ansehen von Relotius genoss, schlug Alarm wegen der Arbeit seines Kollegen. Die Redaktionsleitung des "Spiegel" glaubte ihm zunächst nicht.

Und als zwei Journalisten der "Financial Times" über verdächtige Aktivitäten bei Wirecard berichteten, reagierte die deutsche Finanzaufsicht BaFin zunächst mit einer Strafanzeige gegen die beiden, in der sie der Marktmanipulation bezichtigt wurden.

Die Wahrheit kam schließlich in allen drei Fällen heraus, und die Konsequenzen waren spektakulär: Mehrere Volkswagen-Führungskräfte wurden angeklagt, zwei wurden sogar inhaftiert und das Unternehmen musste Schadensersatz in Milliardenhöhe zahlen.

Claas Relotius wurden alle seine Journalisten-Preise aberkannt, beruflich ist er bis an sein Lebensende erledigt. Wirecard brach spektakulär zusammen und ist inzwischen Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung, bei der sogar schon Kanzlerin Merkel als Zeugin befragt wurde.

Ungestraft handeln?

Doch keiner dieser Skandale wäre passiert, wenn nicht jeder der Täter über lange Zeit die Erfahrung gemacht hätte, ungestraft so handeln zu können.

Hätte man Volkswagen hinterfragt statt vergöttert, wäre der Betrug vielleicht viel früher aufgedeckt worden. Hätten "Spiegel"-Redakteure Relotius' Geschichten kritischer hinterfragt, statt ihn und sein angebliches Talent zu verehren, wären seine Lügen nicht veröffentlicht worden. Und hätten EY und die BaFin ihre Aufgabe korrekt erledigt, hätte Wirecard keinen Betrug im großen Stil begehen können.

In der Welt der Wirtschaft und der Medien sollte die Frage, was man tun würde, wenn man sich sicher wäre, dass man damit durchkommt, immer hypothetisch bleiben. In dem Moment, in dem sie das nicht mehr ist, macht irgendjemand seinen Job nicht.

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert von Felix Steiner