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Grundrechte sind keine Privilegien

26. Juli 2021

Seit Beginn der Corona-Impfungen in Deutschland wird über die Konsequenzen debattiert. Christoph Strack fragt, ob der Staat Menschen mit vollständigem Impfschutz weiter einschränken kann, wo dies nicht notwendig ist.

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Eine Frau hält ein Plakat hoch mit eine Foto von Jens Spahn mit Teufelshörner auf dem steht "Niemand hat die Absicht eine Impfpflicht einzuführen"
Die Impf-Debatte um Grundrechte und Privilegien nimmt an Fahrt aufBild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Im gleichen Moment, in dem die Diskussion um Einschränkungen für vollständig Geimpfte einsetzte, begann auch die Gegen-Debatte: Darf der Staat Nicht-Geimpfte diskriminieren? Der Streit gehört zu den Demonstrationen und Protesten von Impfgegnern. Und er wird heftiger.

Dabei ist die Antwort klar: Der Staat darf Grundrechte der vollständig Geimpften nicht weiter einschränken, als dies nötig ist. Es geht um Grundrechte, nicht Privilegien. 

Und er kann ab einem Zeitpunkt, zu dem jeder den Zugang zu einer Impfung gehabt hätte, Impfverweigerern im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Vorgaben Maßnahmen auferlegen. Dabei muss der Staat natürlich für Minderjährige, die (noch) nicht geimpft und damit geschützt werden können, Wege der Teilhabe aufzeigen (und seiner Schutzpflicht beispielsweise durch den raschen Einbau von Luftfiltern in Schulgebäuden nachkommen, wo die deutschen Bundesländer als zuständige Stellen versagen). Ähnliches gilt für Erwachsene, bei denen der Impfschutz aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. 

Der internationale Vergleich

DW-Redakteur Christoph Strack
DW-Redakteur Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Es ist ein Thema, das länderübergreifend zur Herausforderung wird. Frankreich und Italien arbeiten an Vorgaben für Geimpfte und Nichtgeimpfte, in den USA spricht der Immunologe Anthony Fauci schon von einer drohenden neuen Corona-Welle mit bis zu 4000 Toten am Tag und warnt vor einer "Pandemie der Ungeimpften" - weil zu wenige Menschen im Land geimpft sind.

So geht es um Freiheiten im Sinne der Grundrechte - und es geht um notwendige Rücksichten. Besonders deutlich wird das an der wachsenden Zahl von Ländern, die eine Impfpflicht für medizinisches Personal diskutieren oder bereits festgeschrieben haben: Italien und Frankreich, England, Ungarn und Griechenland seien hier genannt. Dass die Zahl der Pflegekräfte in Deutschland, die sich noch nicht impfen ließen, gerade dort hoch und zu hoch ist, wo Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretiker besonders stark sind, lässt etwas von den Beweggründen vieler Kritiker erahnen. 

Eine Frau bei einer Demo in Toulouse mit einem Megafon
In Frankreich hat die Einführung der Impfpflicht und des Gesundheitspasses heftige Proteste ausgelöstBild: Fred Scheiber/AFP

Die Vorgaben für das medizinische Personal zeigen den unauflösbaren Zusammenhang. Da geht es um notwendige Nähe zu den Menschen, gerade zu gefährdeten Menschen. Genau deshalb wurde ja zu Recht mit der Impfung frühzeitig auch bei Mitarbeitenden von Kliniken und Heimen begonnen.

Das juristische Dilemma

Es gibt bereits Vorschläge, wie die Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften im Hochschulbereich aussehen könne. Geimpfte könnten sogenannten Hybridveranstaltungen vor Ort in Präsenz folgen, Ungeimpfte per Zoom. Die Vorlesung bekämen dann beide Gruppen mit. Und eine Gleichbehandlung sei da nicht zwingend geboten. Warum also nicht?

Bei all dem ist klar: Grundvollzüge der Teilhabe an gesellschaftlichem Leben kann der Staat niemandem verbieten. Er konnte aber in der Pandemie im Rahmen der Notwendigkeiten allen Pflichten auferlegen: das Tragen der Masken beim Einkauf oder im öffentlichen Nahverkehr. Solche Vorgaben können - dann für alle - gelten. 

Bis zu einer staatlichen Impfpflicht wäre es indes ein juristisch weiter und, wie immer bei Rechtsstreitigkeiten, unübersehbarer Weg. Die Privatwirtschaft kann indes schon konsequenter handeln: Jeder Konzertveranstalter, jede Gastronomie, jedes Hotel, jeder Freizeitpark könnte zunächst mal - so lange sie jeweils nicht mit Monopolanspruch auftreten - auf Impfungen und den Impfpass setzen. Im Zweifelsfall müssen das dann vermutlich Gerichte klären. Aber niemand kann einen Kneipenwirt verpflichten, ungeimpfte Personen im geschlossenen Raum zu beköstigen.

Eine ethische Frage?

Wer die Impfung ins Reich der Beliebigkeit verlegt, blendet die Erinnerung an sehr ernste Phasen der Pandemie aus: die - tatsächliche oder drohende - Überlastung der medizinischen Gesundheitsversorgung in vielen Ländern bis hin zum Kollaps der Strukturen, die zu erwartenden Auswirkungen auf die jüngere Generation, die mancher schon als "verlorene Generation" bezeichnet, auch die wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen. 

Klar ist - all das spricht für eine ethische Impfpflicht. Politiker sprechen gelegentlich zu viel und zu schnell, um zwischen diesem ethischen Anspruch und einer juristischen Impfpflicht zu unterscheiden oder anderen die Unterscheidung zu ermöglichen. Vorerst gilt: Auch ethisch wird man begründen können, wenn Geimpfte in Teilen des gesellschaftlichen Lebens freizügiger behandelt werden.