Merkel gegen Schließung der Balkanroute
7. März 2016Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unmittelbar vor dem EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise der Forderung nach Schließung der Balkanroute widersprochen. "Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird", sagte sie beim Eintreffen in Brüssel. Gleichwohl müsse die Zahl der in die EU kommenden illegalen Flüchtlinge verringert werden - nicht nur für einige Länder, sondern für alle. Die Kanzlerin wandte sich damit gegen eine Formulierung im Entwurf der Schlusserklärung des Gipfels, wonach die Balkanroute nun "geschlossen" sei.
Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hatte am Sonntag im deutschen Fernsehen gesagt, Staaten wie Österreich, Deutschland oder Schweden seien nicht in der Lage alle Menschen aufzunehmen, die dorthin kommen wollten. Zudem werde bei dem EU-Gipfel an diesem Montag erneut darauf gedrängt, die Politik des "Durchwinkens" von einem Land zum nächsten zu beenden, erläuterte der ÖVP-Politiker in der ARD-Sendung "Anne Will".
Merkel spricht sich mit Davutoglu ab
Vor dem eigentlichen Gipfel in Brüssel beraten die 28 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu darüber, wie der Migrationsstrom aus der Türkei Richtung Europa gestoppt werden kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich dazu am Sonntagabend bereits mit Davutoglu zu Vorgesprächen. Laut EU-Diplomaten soll auch das Vorgehen der türkischen Behörden gegen die regierungskritische Zeitung "Zaman" beim Gipfel zur Sprache kommen.
Die Reaktionen der Verantwortlichen in Berlin und Brüssel auf die staatliche Übernahme des Blattes waren am Wochenende sehr verhalten geblieben, so dass der Eindruck entstand, man habe einer Diskussion darüber aus dem Weg gehen wollen, um eine Einigung mit Ankara zu erreichen. Denn von der Kooperation der Türkei hängt entscheidend ab, ob es der EU gelingt, sich auf eine Linie in der Flüchtlingskrise zu einigen.
Zehntausende Migranten in Griechenland gestrandet
Monatelang waren Migranten entlang der Balkanroute einfach von einem Land in das nächste weitergezogen, bis die ersten Stacheldrahtzäune hochgezogen wurden und Grenzschützer Stellung bezogen. Mazedonien lässt derzeit kaum noch Flüchtlinge aus Griechenland passieren, sodass Zehntausende Menschen in Lagern auf der griechischen Seite ausharren, in der Hoffnung irgendwann weiterreisen zu können.
Der deutsche Justizminister Heiko Maas sagte, einzelne Staaten könnten mit Grenzschließungen die weltweiten Migrationsprobleme nicht lösen, dies führe nur zu "Dominoeffekten". Die Flüchtlinge müssten in Europa verteilt werden. Zudem gelte es, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die Feuerpause in Syrien sei vor diesem Hintergrund sehr wichtig.
Türkei soll abgelehnte Asylsuchende zurücknehmen
Die EU und vor allem Bundeskanzlerin Merkel setzen darauf, dass die Türkei, Migranten ohne Asylanspruch rasch wieder zurücknimmt. Die Regierung in Ankara lässt sich ihre Kooperation teuer bezahlen. Schon jetzt winken drei Milliarden Euro aus Brüssel, wenn die Türkei zudem ihre Seegrenze zu Griechenland besser schützt und wirksam gegen Schlepper vorgeht. Dafür soll das Land auch den Einsatz von NATO-Schiffen akzeptieren.
Um Menschen von einem Zuzug nach Europa abzuhalten, soll die Regierung in Ankara die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in der Türkei verbessern - etwa durch eine Gesundheitsversorgung und Bildungschancen für Flüchtlingskinder. Aber: Um dies alles zu erfüllen, reichten drei Milliarden Euro bei weitem nicht aus, hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan unlängst erklärt.
Nothilfen für Griechenland
Der harte Kurs zur Schließung der Balkanroute wird dem Vernehmen nach von Deutschland mitgetragen. Um Griechenland beim Umgang mit den im Land festsitzenden Migranten zu unterstützen, derzeit sind es 30.000, wollen die Staats- und Regierungschef nach ihren Sonderberatungen mit der Türkei über Nothilfen für Athen entscheiden. Die EU-Kommission hat bis zu 700 Millionen Euro dafür vorgeschlagen. Vor dem nächsten Gipfel Mitte des Monats soll es dazu einen Beschluss geben. Das finanziell angeschlagene Griechenland soll auch beim Grenzschutz Hilfe erhalten.
uh/stu (dpa, rtr, afp)