Mexiko: Wahlkampf, Drogengeld und Präsident López Obrador
2. Februar 2024Die Nachricht platzte wie eine Bombe in den aktuellen mexikanischen Wahlkampf. Nach Recherchen derDeutsche Welle sowie den investigativen Nachrichtenportalen ProPublica und Insight Crime soll der Wahlkampf des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, genannt AMLO, im Jahr 2006 mit Geldern aus Drogenkartellen finanziert worden sein.
"Eine zwischen 2010 und 2011 von der US-Staatsanwaltschaft für den südlichen Bezirk von New York und der Drug Enforcement Administration (DEA) durchgeführte, bisher geheime Untersuchung erbrachte handfeste Beweise dafür, dass das Sinaloa-Kartell zwischen zwei und vier Millionen Dollar in den Wahlkampf von Andrés Manuel López Obrador investiert hat, als dieser 2006 Präsidentschaftskandidat war" schreibt die Journalistin Anabel Hernández in ihrem DW-Beitrag vom 30. Januar.
AMLO: "Es gibt keine Beweise"
Die DW-Kolumnistin recherchiert seit 2019 zu dem Thema und hatte nach ihren Angaben nicht nur Zugang zu dem entsprechenden Bericht der US-amerikanischen Justiz, sondern auch zu Zeugen. In einem Interview für das spanischsprachige TV-Programm der DW erklärte sie: "Meine Zeugen, die sowohl aus dem Umfeld von López Obrador als auch vom Sinaloa-Kartell stammen, haben mir versichert, dass es diese Finanzierung gab."
Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador hat die Vorwürfe vehement zurückgewiesen. "Es ist völlig falsch, es gibt keine Beweise, es ist eine Verleumdung", erklärte er in einem am 2. Februar auf X (ehemals Twitter) veröffentlichten Video. "Diese sogenannten Investigativ-Journalisten sind Söldner der US-Drogenaufsichtsbehörde DEA", sagte er und forderte: "Die US-Regierung muss dazu Stellung nehmen. Wenn sie keine Beweise haben, müssen sie sich entschuldigen."
Aus den USA kommen verhaltende Reaktionen. Das US-amerikanische News-Portal The Hill zitierte ein Statement des US-Justizministerium, in dem es heißt: "Es ist unsere übliche Praxis, uns nicht zur Existenz bestimmter Ermittlungsaktivitäten zu äußern." Das Justizministerium arbeite mit den mexikanischen Partnern zusammen, um die Drogenkartelle zu bekämpfen und halte sich "konsequent an strenge interne Protokolle und die Aufsicht über alle sensiblen, internationalen Ermittlungen".
"Umarmungen statt Kugeln"
López Obrador regiert das Land seit dem 1. Dezember 2018. Zuvor kandidierte er zweimal, 2006 und 2012, erfolglos für das höchste Staatsamt. Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 2. Juni darf er nicht erneut antreten, denn in Mexiko ist jeweils nur eine Amtszeit von sechs Jahren gestattet.
Die Vorwürfe einer vermeintlichen Kooperation mit Drogenkartellen sind in Mexiko politisch brisant. Denn die Bevölkerung im zweitgrößten Land Lateinamerikas leidet seit Jahren unter wachsender Drogenkriminalität. López Obradors Sicherheitsstrategie bestand darin, gegen die organisierte Kriminalität nicht mit Gewehrkugeln, sondern Umarmungen ("Abrazos, no balazos") vorzugehen. Bisher sind allerdings keine großen Erfolge zu verzeichnen.
Mehr als 100.000 Vermisste
Offiziellen Angaben zufolge verharrt die Mordrate im Land seit Jahren zwischen 23 und 25 Personen auf 100.000 Einwohnern. Zum Vergleich: In Brasilien liegt die Zahl bei 22,4 und in Deutschland sank die Mordrate von 1,6 Personen 1993 auf 0,77 im Jahr 2021.
Hinzu kommt die hohe Anzahl der sogenannten Vermissten (Desaparecidos). Insgesamt 113.000 Menschen gelten in Mexiko offiziell als vermisst. Die große Mehrheit von ihnen, nämlich 99.748 Menschen, wurden zwischen Dezember 2006 und dem 16. Januar dieses Jahres als vermisst registriert.
"Aussichtsloser Kampf gegen Drogenkartelle"
Laut Falko Ernst, Mexiko-Experte des Thinktanks International Crisis Group, hat López Obrador den Kampf gegen die Drogenmafia aufgegeben. "Mexikos Regierung hält den Kampf gegen den Drogenhandel für aussichtslos", erklärte er kürzlich gegenüber der Zeitschrift Der Spiegel. Die Regierung sei davon ausgegangen, dass man durch größere Investitionen in öffentliche Sicherheit politisch nichts gewinnen könne.
Im Gespräch mit der DW erklärte der Mexiko-Experte, dass "die Anschuldigungen gegen López Obrador nur Anschuldigungen sind und keine direkten Beweise gegen ihn vorliegen". Allerdings sei das organisierte Verbrechen zwangsläufig in die Politik des Landes verwickelt.
"Einer der Ansatzpunkte waren und sind Wahlen", so Ernst. "Dies manifestiert sich jenseits von Parteifarben oder Regierungsebenen. Absprachen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel."
"Politisches Timing ist kalkuliert"
Für die mexikanische Analystin und Bloggerin Stephanie Henaro ist hingegen die Tatsache, dass die Anschuldigungen "direkt aus den Vereinigten Staaten kommen, ein Beleg für die Straflosigkeit und den Mangel an Gerechtigkeit in Mexiko". Nach Meinung der Expertin für internationale Beziehungen wäre ein aktiveres Vorgehen der mexikanischen Justiz notwendig, um das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber staatlichen Institutionen zu brechen.
Henaro ist sich sicher, dass die Vorwürfe gegen AMLO im aktuellen Wahlkampf eine besondere Bedeutung haben. "Politisches Timing ist nie ein Zufallsprodukt, sondern kalkuliert", erklärte sie. "In einem Wahljahr trägt dies auch zur Polarisierung bei."
Nach jüngsten Meinungsumfragen der mexikanischen Tageszeitung "El Financeiro" vom 1. Februar liegt die von AMLO unterstützte Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum mit 48 Prozent Zustimmung klar vorn. An zweiter Stelle steht mit 32 Prozent Oppositionskandidatin Xóchitl Gálvez.
Die Senatorin des Bündnisses "Fuerza y Corazón" (Mit Kraft und Herz für Mexiko), gilt als charismatische, aber weniger erfahrene Politikerin. Fest steht bisher nur eines: Das nächste Staatsoberhaupt Mexikos wird wohl eine Frau sein.