Eine Donau-Halbinsel wird unabhängig
13. August 2017Ein kleines Wirtshaus am linken Donauufer, versteckt unter der Brücke zwischen Serbien und Kroatien. Der Wirt Pera, in der Gegend auch unter dem Spitznamen "Papagei" bekannt, trinkt Bier mit einem Freund, während im Kessel ein Paprikasch mit Fisch köchelt. Peras Hütte gehört gleichzeitig zu zwei Staaten: zu Serbien, weil seine Firma dort registriert werden musste, und zu Kroatien, weil es im Kataster so steht. Zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall Jugoslawiens haben Serbien und Kroatien noch immer keine Vereinbarung darüber, wo genau die gemeinsame Grenze an der Donau verläuft und was wem gehört.
Während Serbien die Grenzlinie genau in der Mitte der befahrbaren Wasserstraße sieht, behauptet Kroatien, für die Zugehörigkeit der Gebäude und Siedlungen an beiden Donauufern sei nur das amtliche Grundstücksverzeichnis maßgebend. So würden aus kroatischer Sicht insgesamt 10.000 Quadratkilometer in den serbischen Gemeinden Apatin, Sombor und Bačka Palanka eigentlich zu Kroatien gehören, und umgekehrt etwa 1.000 Quadratkilometer am gegenüberliegenden Ufer zu Serbien.
Erfolglose Sonderkommission
Ähnliche Grenzstreitigkeiten gibt es zwischen fast allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Ende Juni entschied das internationale Schiedsgericht in Den Haag, dass Kroatien einen 2,5 Seemeilen breiten Korridor in kroatischen Hoheitsgewässern einrichten soll, damit der Nachbarstaat Slowenien einen ungehinderten Zugang zu internationalen Gewässern in der nordöstlichen Adria hat. Die kroatische Regierung will das Urteil einfach ignorieren. Dieser Fall hat auch andere veranlasst, solche Fragen auf die politische Tagesordnung zu setzen.
Mit dem serbisch-kroatischen "Donau-Streit" befasste sich seit 2001 eine Sonderkommission beider Staaten, die nach den bisherigen neun Sitzungen zu keinem Ergebnis kam. "Nicht zuletzt deswegen könnte Kroatien, das bereits EU-Mitglied ist, demnächst den serbischen EU-Beitritt blockieren", sagt Aleksandar Popov, Projektkoordinator im serbischen Zentrum für Regionalismus, im DW-Gespräch. "Da gibt es ein gewisses Erpressungspotenzial, aber die Staaten nutzen solche Fragen auch, um von inneren Problemen abzulenken. Das ist schlecht."
"Leben und leben lassen"
Es gibt aber jemanden, der den serbisch-kroatischen Grenzstreit an der Donau für sich zu nutzen wusste. Dem tschechischen Politiker Vít Jedlicka von der libertären Kleinpartei der "freien Bürger" fiel vor zwei Jahren auf, dass an einer Donauschleife in der Nähe des Dorfes Zmajevac im Nordosten Kroatiens ein menschenleeres Gebiet liegt. Dort hat er im April 2015 seine virtuelle "Freie Republik Liberland" ausgerufen - einen Staat, der von niemandem anerkannt wurde.
Die Halbinsel, auf der sich dieser mit einem Augenzwinkern gegründete "achte Nachfolgestaat Jugoslawiens" befindet, gilt wegen des serbisch-kroatischen Grenzstreits als Niemandsland. Die Staatsbürgerschaft von "Liberland" kann über ein Internetformular beantragt werden - was etwa 500.000 Menschen bereits gemacht haben. "Liberland" hat eine gelb-schwarze Nationalflagge, eine Hymne und ein Motto: "Leben und leben lassen".
"Liberland ist weltweit bekannt geworden", sagt Vít Jedlicka, "aber mit der Anerkennung ist es etwas schwieriger - da gibt es schon mehrere Stufen, von einer de facto bis hin zu einer de jure Anerkennung. Heute haben wir Vertretungen in mehr als 80 Ländern."
Das Ziel sei eine Art freie Wirtschaftszone, behauptet Vladan Jovanovic, ein Liberland-Vertreter, der für die DW-Reporter die Bootsfahrt in seine neue "Heimat" organisiert. "Hier würden die Menschen ohne bürokratische Hürden arbeiten können. Etwas wie das Sillicon Valley oder ein Hong Kong Europas", erklärt Jovanovic todernst.
Nicht mehr als ein Witz
Doch die Fahrt ist schnell vorbei: Ein Boot der kroatischen Polizei erlaubt keinem, die Halbinsel zu erreichen. Als "Staatsgründer" Vit Jedlicka vor zwei Jahren mit einer Gruppe Gleichgesinnter "sein" Territorium besichtigen wollte, hinderte ihn auch die Polizei daran. Die beiden Boote wurden mit dem Hinweis beschlagnahmt, zum nächsten Mal würden sie nicht mehr an "Liberländer" zurückgegeben - sondern gleich verschrottet.
Weder Serbien noch Kroatien beabsichtigen, Jedlickas Staat anzuerkennen: Für beide Länder ist "Liberland" nicht mehr als ein Witz. Denn im Grenzbereich gibt es kein Territorium, das von Dritten beansprucht werden darf.
Also wird eines Tages auch "Liberland" entweder serbisch oder kroatisch - die vor sechs Jahren ins Stocken geratenen Verhandlungen zum Donau-Grenzstreit zwischen Serbien und Kroatien sollen bald fortgesetzt werden. "Wir glauben, dass die zwischenstaatliche Kommission ihre Arbeit wieder aufnimmt, nachdem die formalen Voraussetzungen erfüllt werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die Ernennung neuer Kommissionsmitglieder und die Einigung über die Rahmenbedingungen für bilaterale Gespräche über die gesamten Beziehungen zwischen den beiden Staaten", heißt es in einer schriftlichen Erklärung des kroatischen Außenministeriums für die DW.
Passende Regeln auswählen?
Für Aleksandar Popov vom Zentrum für Regionalismus wäre eine Einigung zwischen Belgrad und Zagreb die beste Lösung. Doch er schließt auch eine Schlichtung mit Hilfe der internationalen Justiz nicht aus. "Meistens gilt die Regel, dass die Grenze genau entlang der Mitte des befahrbaren Wasserweges verläuft, und diese Lösung entspricht dem Wunsch Serbiens. Aber Kroatien ist EU-Mitglied und hat mehr Erpressungspotenzial", sagt Popov.
Der Wirt Pera, alias "Papagei", erklärt uns, in der Grauzone jenseits der großen Politik sei alles machbar: "Wenn du in einem Dorf am kroatischen Ufer kein Grundstück kaufen darfst, weil du kein kroatischer Staatsbürger bist, kannst du direkt gegenüber, im serbischen Sombor, trotzdem einen entsprechenden Kaufvertrag unterschreiben, weil für das Dorf der Kataster in Sombor zuständig ist. Wir berufen uns mal auf die serbischen, mal auf die kroatischen Regeln - je nachdem, welche uns besser passen."