Misshandlungen im Evin-Gefängnis
4. Mai 2014Hassan Rohani hatte vor seiner Wahl zum iranischen Präsidenten im Juni 2013 versprochen, sich für die Freilassung zahlreicher politischer Gefangener einzusetzen. "Ich bin ein Jurist, kein General". Mit diesem Slogan war Rohani in den Wahlkampf gezogen. Es war eines seiner zentralen Versprechen. Doch jetzt wirft ein Skandal im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis erneut ein Schlaglicht darauf, dass dieses Versprechen noch längst nicht eingelöst ist.
Dort, in Evin, sitzen mehrere politische Gefangene seit Wochen in Einzelhaft. Sie sollen am 17.April 2014 während eines Kontrollgangs von Spezialkräften gefesselt worden sein. Man habe ihnen die Augen verbunden und sie stundenlang verprügelt und misshandelt. Menschenrechtaktivisten und internationale Organisationen wie Amnesty International, die International Federation for Human Rights oder Reporter Ohne Grenzen forderten den iranischen Präsident in mehreren Petitionen auf, den Vorfall aufzuklären.
Schläge und Demütigungen im Evin-Gefängnis
"Es waren ursprünglich 30 Gefangene", berichtet Maede Soltani. "Auch mein Vater war dabei. Er kam nach zwei Nächten aus der Einzelhaft heraus", so die Tochter des Rechtsanwalts Abdolfattah Soltani gegenüber der DW. Soltani ist auch Träger des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises 2009 und hat im Iran zahlreiche bekannte Dissidenten verteidigt. Wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte wurde der heute 60-Jährige nach der umstrittenen Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads zum iranischen Präsidenten im Juni 2009 festgenommen und drei Jahre später zu 18 Jahren Haft verurteilt. Die Strafe wurde zwar im Nachhinein auf 13 Jahre verkürzt. Doch sitzt Soltani seitdem in Trakt 350 des Evin-Gefängnisses, dort, wo zahlreiche politische Gefangene inhaftiert sind.
"Meinen Vater haben sie nicht so übel verprügelt wie die anderen. Vielleicht, weil er im Iran eine bekannte Figur ist", vermutet die junge Industrie-Designerin Maede Soltani, die seit fünf Jahren in Deutschland lebt. Soltanis Kopfhaar und Bart wurden aber wie bei den anderen Gefangenen abgeschnitten – für die Betroffenen ein besonderer Akt der Demütigung.
Seine Tochter hat ein Foto ihres Vaters auf Facebook gepostet. Sie und Familienangehörige anderer politischer Gefangener veröffentlichen häufig Informationen aus dem Gefängnis in sozialen Netzwerken. Immer wieder protestieren sie vor Regierungsgebäuden. In einem offenen Brief an den iranischen Präsidenten fordern sie die Aufklärung der jüngsten Vorkommnisse.
Druck der Öffentlichkeit und Drohungen des Regimes
Unter dem Druck der Öffentlichkeit richtete Hassan Rohani eine entsprechende Untersuchungskommission ein. Tatsächlich verlor am 23. April Gholam Hosein Esmaili seinen Posten als Chef der iranischen Gefängnisverwaltung. Er hatte den Vorfall geleugnet. Doch nur einen Tag später wurde er von Irans Justizminister Sadegh Laridschani zum neuen Justizchef der Provinz Teheran ernannt. Der jüngere Bruder des ehemaligen Atomunterhändlers Ali Laridschani warnte zugleich alle Oppositionellen davor, Interviews mit ausländischen Medien zu führen und "Lügen über Menschenrechtsverletzungen im Iran zu verbreiten". Den Gefangenen im Evin-Gefängnis warf er vor, sich ordnungswidrig verhalten und sich gegen die regulären Kontrollgänge aufgelehnt zu haben.
Die iranische Menschenrechtaktivistin Narges Mohammadi lässt sich trotz aller Drohungen nicht einschüchtern und will die Hoffnung nicht verlieren: "Die Lage der Gefangenen hat sich zwar bislang nicht geändert. Aber Ruhani hatte versprochen, den Vorfall aufzuklären", teilt die ehemalige Geschäftsführerin des mittlerweile verbotenen iranischen Zentrums für Menschenrechtsverteidiger (CHRD) in Teheran mit. "Wir wissen genau, dass konservative Kräfte in den Regierungskreisen versuchen, diese Aufklärung zu verhindern", so Narges Mohammadi. Doch noch warte man auf das Ergebnis der Untersuchungskommission.
Bekanntes Muster
Der Einsatz der Spezialkräfte im Gefängnis und die brutale Misshandlung der wehrlosen politischen Gefangene sei eine geplante Aktion gewesen, meint Taghi Rahmani. Der Journalist und Menschenrechtsaktivist hat selbst mehr als 14 Jahre im Gefängnis verbracht und lebt heute im Pariser Exil. Rahmani, 2005 von Human Rights Watch mit einem Preis für politisch verfolgte Journalisten ausgezeichnet, meint: "Ultrakonservative Kräfte wollen mit solchen Angriffen die gemäßigten Kräfte um Rohani in die Knie zwingen. Und sie wollen die Angst in der Gesellschaft schüren, um die Lage weiter zu beherrschen. Damit folgen sie demselben Muster wie in der Khatami-Zeit." Der reformorientierte Kleriker Mohammad Khatami war von 1997 bis 2005 Irans Präsident, konnte dabei aber nicht verhindern, dass während seiner Amtszeit Studentenproteste brutal niedergeschlagen und viele Oppositionelle und Intellektuelle systematisch verschleppt und ermordet wurden.
Die Ultrakonservativen, die nun die Mehrheit im Parlament besitzen und viel stärker in der Machtstruktur verwurzeln seien als damals, wollten auch Rohani die Grenzen seiner Macht aufzeigen, so Rahmani weiter. Hoffnung auf Aufklärung des Vorfalls im Evin-Gefängnis hat er nicht.
Konsequenzen gefordert
Bis jetzt hat Hassan Rohani keine offizielle Erklärung zu diesem Fall abgegeben. Die International Federation for Human Rights hat nun in einem offenen Brief an den UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte Aufklärung über die Vorgänge im Evin-Gefängnis gefordert.
Shirin Ebadi setzt keine Hoffnungen mehr auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran durch Rohani. "Weder wird dieser Vorfall aufgeklärt werden, noch die vielen anderen, die in Irans Gefängnissen geschehen", so die Friedensnobelpreisträgerin gegenüber der DW. "Die internationale Gemeinschaft muss den Menschen im Iran helfen." Ebadi fordert eine Verschärfung der Sanktionen von EU und USA gegen jene, die im Iran Menschenrechte verletzen. Falls sie Vermögen im Ausland besäßen, müsse dieses eingefroren werden, so wie das bei vielen anderen Mitgliedern des iranischen Staatsapparates schon der Fall sei, so Ebadi.