Kampf um den Hambacher Forst
29. November 2017"Vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir den Wald in dieser Schönheit sehen." Michael Zobel ist niedergeschlagen; er hat Tränen in den Augen. Er muss heute Abschied nehmen von einem Ort, der zu einem Teil seines Lebens geworden ist. Am vergangenen Sonntag (26.11.2017) läuft der Aachener sichtlich bewegt durch den Hambacher Forst, ein Waldgebiet in der Nähe von Köln.
Michael Zobel ist Waldführer und bietet einmal im Monat Touren durch den 12.000 Jahre alten Forst an. Doch das könnte bald vorbei sein: Der Energiekonzern RWE will den Wald komplett roden. Es sollen Böschungen für den angrenzenden Braunkohletagebau entstehen. Die Rodungen sollen bereits einen Tag später, am Montag, beginnen.
Baumhäuser als Barrikaden
Michael Zobel hat Gesellschaft: Mehrere hundert Menschen sind an diesem Tag mit ihm im Wald. Viele liegen sich in den Armen. Sie beweinen das Schicksal des Waldstücks, das zu ihrer Heimat geworden ist.
Und sie haben Angst vor dem, was in den kommenden Tagen passieren wird. "Die Stimmung ist sehr angespannt", erzählt Zobel. Vor allem bei den rund 200 Personen, die in den kommenden Wochen den Wald verteidigen wollen.
Es sind Aktivisten wie Pello, die nicht akzeptieren, dass der Hambacher Forst verschwindet: "Ich habe mich entschlossen, den Winter hier im Wald zu verbringen, um ihn zu beschützen", erzählt er. Dafür hat er sein Masterstudium ein Jahr nach hinten geschoben. Viele andere haben die gleiche Entscheidung getroffen.
Mittlerweile leben rund hundert Menschen dauerhaft im Hambacher Forst. Sie haben Baumhäuser gebaut, in denen sie hoffen, auch den Winter zu überstehen. "Die meisten sind isoliert und haben sogar einen Ofen eingebaut", erklärt ein Aktivist, der schon mehrere Jahre im Wald wohnt. Über 20 Baumhäuser gibt es. Sie liegen zwischen 16 und 25 Meter hoch und sind oft über Strickleitern miteinander verbunden. Mehrere Baumhaus-Dörfer sind so im Wald entstanden.
"Die Baumhäuser sollen als Barrikaden dienen", erklärt Aktivist Pello. "Solange jemand drin sitzt, kann der Baum nicht gefällt werden." Die Polizei müsste die Menschen aus den Häusern holen. "Wir sind gekommen, um den Wald zu bewahren. Und wir werden dort oben bleiben, solange wir können", betont Pello.
Jeder macht, was er will
Vor fünf Jahren begann die Waldbesetzung mit sechs Aktivisten. Heutzutage sind manchmal mehr als 200 Personen im Wald anzutreffen. "Es ist ein wunderschönes Gemeinschaftsleben hier", sagt Pello. Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt leben zusammen im Wald. "Ich habe mich selten an einem anderen Ort wohler gefühlt als hier."
Ihr Zusammenleben bezeichnen die Aktivisten selbst als Anarchie. Einer erklärt: "Jeder kann hier machen, was er will. Man ist zu nichts gezwungen." Im Camp gebe es keine Hierarchie, keinen Boss. Außerdem könne jeder für sich entscheiden, wie er Widerstand leistet. "Die meisten von uns wollen sich friedlich wehren. Aber es gibt auch ein paar, die bereit sind, Gewalt einzusetzen", erklärt ein langjähriger Waldbewohner.
Tag eins: Steine und Pfefferspray
"Es war emotional ziemlich anstrengend für mich. Am Montag habe ich kaum geschlafen", sagt Waldführer Michael Zobel. Besonders angespannt war Zobel wegen seiner Freundin, die auch im Wald war. "Es war klar, dass die Rodungen am Montag losgehen. Allerdings wusste niemand genau, was passieren wird."
Der Tag beginnt mit Geräuschen von oben. Es ist noch dunkel, als ein Hubschrauber über den Wald fliegt. Wenig später rückt die Polizei an. Die Beamten versperren die Zugangsstraße zum Forst. Rechts davon beginnen am Morgen die ersten Rodungen. Auf der linken Straßenseite beobachten die Aktivisten das Geschehen. Der RWE-Sicherheitsdienst und die Polizei stehen zwischen den Aktivisten und dem Rodungsgebiet.
"Wir blockieren die Waldwege und versuchen zu verhindern, dass die Maschinen morgens durchkommen", erklärt Pello ihre Taktik. "Wir wollen die Rodungen möglichst lange verzögern oder sogar ganz verhindern." Gleichzeitig versucht eine Gruppe aus etwa 50 Personen, die Polizeikette zu durchbrechen.
Als die Aktivisten eine Böschung hinauf laufen, drängt sie die Polizei mit Pfefferspray zurück. Die Aktivisten sollen mit Steinen geworfen haben, schreibt die Polizei. Die Umweltschützer geben zu, dass Steine geflogen sind. Das solle aber erst passiert sein, nachdem die Polizei Pfefferspray eingesetzt habe.
Tag zwei: Eine überraschende Nachricht
Auch am Dienstag versucht eine Gruppe, die Polizeikette zu durchbrechen - wieder ohne Erfolg. "Die Polizei ist in der Überzahl. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen uns und den Polizisten", fasst ein Waldbewohner zusammen.
Manche Aktivisten frustriert die schwierige Lage. Für den Energiekonzern RWE läuft aber alles nach Plan: "Dank des Polizeiaufgebots, ohne das diese Arbeiten leider nicht stattfinden können, ist es zu keinen nennenswerten Störungen gekommen", sagt RWE-Pressesprecher Guido Steffen der DW.
Nach eigenen Angaben hat RWE bis Dienstagabend rund zwei Hektar Wald gerodet. Doch dann kommt eine überraschende Nachricht: Die Umweltorganisation BUND war erfolgreich mit einem Eilantrag vor Gericht. Der Energiekonzern muss alle Rodungen ab Dienstag (28.11.2017), 18 Uhr beenden. Sie dürfen erst weiter gehen, wenn das Oberverwaltungsgericht in einigen Wochen darüber entscheidet, dass die Rodungen rechtens sind.
Nur ein Teilerfolg
Am Abend verlässt die Polizei den Hambacher Forst. Und die Aktivisten feiern zusammen mit ihren Unterstützern die vorübergehende Rettung des Waldes. Michael Zobel erinnert sich trotz aller Freunde aber daran, dass die Entscheidung des Gerichts nur ein Teilerfolg ist: "Es ist noch nichts final entschieden." Dennoch fällt die Anspannung des Waldführers nach vielen Tagen wieder von ihm ab: "Ich habe viel geweint in letzter Zeit, darum ist diese Nachricht erstmal großartig."
Im Hambacher Forst wird es jetzt wieder ruhiger. Die Aktivisten kehren in ihre Baumhäuser zurück und halten die Stellung. Auch für RWE kam die Gerichtsentscheidung überraschend. Das Unternehmen ist sich dennoch sicher, im Recht zu sein: "Der Beschluss ist keine Entscheidung in der Sache. Wir sind zuversichtlich, dass die Arbeiten bald wieder aufgenommen werden", sagte Pressesprecher Guido Steffen.
Auch Michael Zobel wird in den Wald zurückkehren: "Anfang Dezember wird es die nächste Führung geben - mit so vielen Menschen wie noch nie." Der Hambacher Forst sei nur ein Symptom für viele Konflikte weltweit. "Es geht hier um ein Symbol: Der Ausstieg aus der Kohle ist unausweichlich. Und das hat jetzt auch eine breite Öffentlichkeit weltweit mitbekommen."