Modi möchte chinesische Investitionen
17. September 2014Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping hat seinen Indien-Besuch am Mittwoch (17.09.2014) begonnen - es treffen die Spitzenpolitiker der beiden größten asiatischen Länder zusammen. Trotz konträrer politischer Systeme und eines großen wirtschaftlichen und militärischen Gefälles - China ist dem Nachbarn auf beiden Gebieten um Längen voraus - sowie eines bis heute nicht gelösten Streits um den gemeinsamen Grenzverlauf im Himalaya stehen die Zeichen zwischen den Milliardenvölkern auf Kooperation, nicht auf Rivalität.
Das war nicht immer so: Nach dem indisch-chinesischen Grenzkrieg von 1962 dauerte es ein Vierteljahrhundert, bis sich mit dem Besuch des damaligen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi in Peking die bilateralen Beziehungen etwas entspannten. Und noch 1998, nur wenige Tage bevor Indien drei Atomwaffentests durchführte, hatte der damalige Verteidigungsminister Georges Fernandes "China, nicht Pakistan, als die größte Bedrohung Indiens" bezeichnet.
Großes gegenseitiges Interesse an Wirtschaftskooperation
Inzwischen ist China zum größten Handelspartner Indiens avanciert, wobei der Handelsbilanzüberschuss klar auf Seiten Pekings liegt. Beide Länder sind am Ausbau ihrer gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen interessiert. Indien braucht Investitionen in seine Infrastruktur, der neue Ministerpräsident Narendra Modi hat die Modernisierung der indischen Eisenbahn zur Priorität erklärt und hofft auf chinesische Investitionen beim Bau der ersten indischen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Sie sollen Bangalore im Osten mit Chennai und nordwestlich mit Mumbai verbinden.
Das Geld dafür hätte China, besitzt es doch die größten Devisenreserven der Welt. Es soll auch in den Aufbau von zwei Industrieparks in Gujarat und Maharashtra fließen, die die indischen Exportchancen verbessern und Arbeitsplätze schaffen sollen. Gleichzeitig schreckt Modi nicht davor zurück, auch Japan zu umwerben: Bei seinem Besuch dort machte Japan Investitionszusagen in zweistelliger Milliardenhöhe - auch von Japan will Modi unter anderem Technologie für einen "bullet train" importieren.
Spielt Modi die "japanische Karte"?
Die zeitlich benachbarten Treffen Modis mit Abe und Xi Jinping geben Gedankenspielen über asiatische Großmachtdiplomatie Nahrung. Glaubt Modi durch die Nähe zu Japan, das mit China wegen Territorialansprüchen im Ostchinesischen Meer und wegen der Kriegsvergangenheit im Clinch liegt, China zu Zugeständnissen bewegen zu können?
"Indien spielt keine 'Japan-Karte' gegen China", erklärt China-Experte Sujit Dutta vom Nelson Mandela-Zentrum für Konfliktforschung in Neu Delhi gegenüber der Deutschen Welle. "Die Berater Modis sind sich bewusst, dass die Beziehungen zu Japan von großer Bedeutung sind und dass Japan technologisch führend ist. Deshalb will Indien unbedingt die Beziehungen auf diesen Gebieten ausbauen." Dutta sieht für Japan und China gleichermaßen Chancen auf dem indischen Markt, dort sei Platz für viele Akteure, "auch für Deutschland und Südkorea".
Auch Zhao Gancheng vom Shanghaier Institut für Internationale Beziehungen hält es für "kaum vorstellbar", dass sich Modi von Japan und seinem Premier Abe gegen China einspannen lässt. Es stimme zwar, dass das Verhältnis zwischen Tokio und Peking "zur Zeit so schlecht wie seit langem nicht mehr ist", sagte Zhao der DW. Vor diesem Hintergrund sei es verständlich, dass Japans Premier Abe Modi einspannen möchte, um China zu verärgern. "Aber Abes Versuch wird kaum Erfolg haben, da Indien eigene Interessen hat und eigene Ziele verfolgt", resümiert der chinesische Experte.
Chinesische Investitionen nicht automatisch willkommen
Und Indiens Ziele sind – wie auch die Chinas – vor allem auf wirtschaftliche Entwicklung gerichtet. "Modi galt schon in seiner Zeit als Chief Minister von Gujarat als großer Freund Chinas, er hat China mehrfach besucht, chinesische Firmen haben in Gujarat investiert und damit dort zum wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen", erläutert Südasien-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "In China gibt es ein großes Interesse, in Indien verstärkt zu investieren, und das will Modi nutzen."
Dabei gelte es, Widerstände aus den eigenen Reihen zu überwinden, sagt Wagner: "China will schon seit vielen Jahren massiv in die indische Infrastruktur investieren, nicht nur in die Eisenbahn, auch in Hafenanlagen und Telekommunikation. Die werden in Indien aber als sicherheitsrelevant betrachtet, deswegen treffen solche Vorhaben auf starke Vorbehalte in Indien und in Modis Partei, der BJP."
Ungelöster Grenzstreit
Hier kommt der ungelöste Grenzstreit ins Spiel: Indien beansprucht im Westen in der Kaschmir-Region ein von China kontrolliertes Gebiet von der Größe der Schweiz (Aksin Chin). China beansprucht im Osten weite Teile des indischen Bundestaates Arunachal Pradesh, der mehr als die doppelte Fläche von Aksin Chin umfasst.
"Der Grenzstreit war in den letzten Jahren immer wieder eine dauerhafte Belastungsprobe in den bilateralen Beziehungen", sagt Christin Wagner von SWP. Vor allem von chinesischer Seite sei es immer wieder zu Übertritten in Gebiete gekommen, die von Indien beansprucht werden. Im Oktober 2013 haben beide Seiten ein weiteres Abkommen über vertrauensbildende Maßnahmen unterzeichnet. "Bei Fortschritten im wirtschaftlichen Bereich sollte es möglich sein, das Thema in den Hintergrund zu drängen, aber es kann auf beiden Seiten immer wieder für Störfeuer in den bilateralen Beziehungen genutzt werden", erläutert Wagner.
Zeit für Kompromisse noch nicht reif
Letzten Endes müssten beide Seiten Kompromisse eingehen. Aber die Bedingungen dafür seien noch nicht reif, meint Südasien-Experte Zhao Gancheng gegenüber der DW. Immerhin: Der Kontrollmechanismus zur Aufrechterhaltung der Stabilität an der Grenze funktioniere. Zhao zufolge nimmt die Bedeutung des Grenzkonflikts in den bilateralen Beziehungen eher ab als zu. Das wäre genau die entgegengesetzte Entwicklung wie die der Territorialstreitigkeiten Chinas mit seinen Nachbarn im Ost- und Südchinesischen Meer.
Mohan Guruswamy vom Centre for Policy Alternatives in Neu Delhi behauptet gegenüber der DW: "Es gibt keinen Grenzkonflikt." Mit dem Begriff Konflikt werde eine Situation definiert. Die Situation an der Grenze sei geregelt. Aber es gebe Probleme innerhalb Indiens und Chinas mit der Lösung der Grenzfrage. Es bleibt also abzuwarten, ob nationalistische Strömungen die Oberhand gewinnen oder ob die Früchte des wirtschaftlichen Austauschs die Grenzfrage irrelevant werden lassen.