Montenegro: Für Milo, gegen Milo
16. Oktober 2016Der montenegrinische Premier steht weit oben auf der Liste der am längsten amtierenden Staats- und Regierungschefs. Wenn man die beiden kurzen Auszeiten abzieht, die sich Milo Đukanović selbst gegönnt hat, sind auf dieser Liste vor ihm nur Politiker wie Robert Mugabe oder Hun Sen - und weit hinter ihm Alexander Lukaschenko, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan. Seit 25 Jahren ist Đukanović der Dreh- und Angelpunkt der Politik im kleinen Balkan-Land Montenegro - abwechselnd als Regierungschef und Präsident. Er war jeweils das, was zum Zeitgeist passte: junger Kommunist, Nationalist, Ideologe der Abspaltung seines Landes von Serbien vor zehn Jahren - und heute der Verfechter der Integration Montenegros in die EU und NATO.
Affären ohne Folgen
Es ist also nicht verwunderlich, dass es vor den Parlamentswahlen an diesem Sonntag weniger um Parteiprogramme und Zukunftsvisionen ging, als um die Frage, ob "Milo", wie ihn alle auf der Straße nennen, auch diesmal an der Macht bleibt - oder eben nicht. "Die Politik-Szene ist gespalten: Es gibt jene, die Đukanović und sein Regierungsmodell unterstützen, und jene, die seiner Herrschaft ein Ende setzen wollen. Das ist die Wahl, die die montenegrinischen Bürger schon seit Jahrzehnten haben", sagt der Journalist Marko Vešović von der regierungskritischen Tageszeitung Dan. Das "Modell Đukanović" definiert er als neoliberalen Ausverkauf des staatlichen Besitzes mit engen Beziehungen zum organisierten Verbrechen.
Solche Behauptungen stehen schon so lange im Raum, dass sie im Land schon als Allgemeinplätze gelten. Đukanović ließ alle Vorwürfe abprallen - auch die der italienischen Staatsanwaltschaft, die ihn als Patron des Zigarettenschmuggels in den Neunziger Jahren bezeichnete. Selbst die Affäre "Aufnahme" vor drei Jahren hatte keine Folgen: In einer Aufzeichnung waren hohe Funktionäre der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten zu hören, die darüber sprachen, dass man Jobs im öffentlichen Sektor nur an treue Parteimitglieder vergeben sollte. Die britische Zeitung The Independent beschrieb Đukanović als einen der reichsten Politiker der Welt, der auf "mysteriöse Weise" an sein Geld gekommen sei.
Klientelpolitik, Korruption, Vetternwirtschaft: Aus der Sicht der Opposition gibt es viele Gründe, Đukanović abzuwählen. Bisher hat es aber nie geklappt. Seine Wahlsiege waren meistens so eindeutig, dass er es sich gelegentlich erlaubt, über die Opposition zu spotten, die ihn "seit einem Vierteljahrhundert" nicht besiegen könne. Doch diesmal könnte es anders sein: Die Bürger hätten es satt, sagt Vešović: "Es ist gut möglich, dass die oppositionellen Parteien genug Stimmen erhalten, um eine breite Regierungsmehrheit stellen zu können."
Hoffnungslos zerstritten
Genau an diesem Punkt fängt der zweite Teil des Problems an. An diesem Sonntag stehen im kleinen Balkan-Land mit nur 620.000 Einwohnern nicht weniger als 34 Parteien auf 17 Listen zur Wahl. So läuft die zerstrittene Opposition Gefahr, die Stimmen gegen Đukanović so sehr zu zersplittern, dass viele Parteien an der Drei-Prozent-Hürde scheitern. Außerdem sind die Regierungsgegner auch diesmal wieder mit dem ewigen Streit darüber beschäftigt, wer von ihnen die "echte Alternative" zu Đukanović ist und wer in der Vergangenheit mit ihm koaliert hat und damit nur ein "Satellit der Regierungspartei" ist. Dort, wo die Opposition in den vergangenen Jahren Lokalwahlen gewann - etwa im bergigen und armen Norden des Adrialandes - hat sie viele Wähler schon enttäuscht.
Obwohl es an glaubwürdigen Meinungsumfragen mangelt, könnte die Demokratische Front (DF) mit etwa 15 Prozent der Stimmen die stärkste oppositionelle Liste sein. Sie ist das Zweckbündnis einer pro-westlichen und einer pro-serbischen Partei, die beide seit Jahren schon ihre Stammwähler haben. Im vergangenen Jahr organisierte die DF mehrere Proteste gegen Đukanović, an denen bis zu 10.000 Bürger beteiligt waren - eine beachtliche Zahl für die Hauptstadt Podgorica. Doch die Gemeinsamkeiten innerhalb der DF enden bei der Frage nach einem NATO-Beitritt des Landes. Wie die ganze Gesellschaft ist sie in zwei Lager gespalten: 46 Prozent der Bürger unterstützen die Mitgliedschaft in der Allianz, 39 Prozent sind vehement dagegen. In anderen Umfragen liegen die Beitrittsgegner vorne.
Im Mai hat die NATO die Aufnahme Montenegros beschlossen, gerade läuft die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente. Mit der EU-Annäherung geht es nur schleppend voran, Brüssel bemängelt immer wieder Defizite in der Justiz und bei der Pressefreiheit. Die NATO ist aber ein Trumpf für Đukanović, den er auf Wahlplakaten vermarkten ließ: Der Beitritt sei ein "zivilisatorischer Durchbruch" und der endgültige Ausweg aus der "serbischen und russischen Einflusszone", so die Deutung der Regierung. Dass er damit den traditionellen Verbündeten Russland ärgert, hat Đukanović längst in Kauf genommen. "Ein erneuter Sieg von Đukanović würde die Chancen für ein Referendum über die NATO-Mitgliedschaft deutlich verringern", sagt Marko Vešović. Denn der Premier lehnt eine Bürgerbefragung zum Thema bislang ausdrücklich ab.
Saubere Wahlen?
Wichtiger als alle Wahlkampfthemen aber ist für Boris Raonić, dass Wahlbetrug verhindert wird. "Es sind die ersten Wahlen, die streng kontrolliert werden", sagt der Programmdirektor der Bürgerallianz, einer NGO, die den Wahlprozess beobachtet. In Montenegro wird gemunkelt, dass ein unsichtbares Aktivistennetzwerk der regierenden Partei Bürgern ihre Ausweise abkauft, um sie von den Wahlurnen fernzuhalten. Außerdem ist von Druck auf Angestellte in staatlichen Betrieben die Rede, ihr Kreuz an der "richtigen" Stelle zu machen.
"Für solche Machenschaften gibt es keine Beweise", so Raonić, "weder von der Opposition, die doch Minister in der Übergangsregierung und Dutzende Funktionäre auf Lokalebene hat, noch von Nichtregierungsorganisationen." Für ihn sind das deshalb sogar die ersten legitimen Wahlen seit dem Ende des Kommunismus. Große Worte und große Erwartungen im kleinen Balkan-Land.