Humanitäre Katastrophe mit Ansage
19. August 2016Nur noch gut 20 Kilometer sind kurdische Peschmerga vom Zentrum Mossuls entfernt. Mitte August erst hatten kurdische Kämpfer eine Reihe weiterer Dörfer im Umland unter ihre Kontrolle gebracht. Der Druck auf die islamistische Terrormiliz "Islamischer Staat" im Irak wächst. Der Ring um Mossul wird enger. Und die Zeichen einer bevorstehenden Offensive zur Vertreibung des IS aus Mossul mehren sich: Ein kürzlich eroberter Flugplatz nahe der Stadt Kajara wird zum logistischen Zentrum des geplanten Aufmarsches ausgebaut - intensiv unterstützt von den USA. Die haben erst im Juli ihr militärisches Personal im Irak um weitere 560 Soldaten aufgestockt - mit dem erklärten Ziel, die irakische Regierung bei der Rückeroberung Mossuls zu unterstützen.
Die Millionenstadt im Norden des Landes ist nach dem Fall von Falludscha im Juni die letzte wichtige Bastion des IS im Irak. Die zweitgrößte Stadt des Iraks hat neben ihrer strategischen Bedeutung auch hohen symbolischen Wert für den IS. Hier hatte vor zwei Jahren IS-Chef Bagdadi das Kalifat ausgerufen.
Bis zu einer Million Flüchtlinge
Doch mit der Offensive zur Befreiung einher geht die Gefahr, dass die geschätzt rund 1, 3 Millionen verbliebenen Zivilisten in Mossul zwischen die Fronten geraten. Sowohl das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) als auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) stellen sich auf große Flüchtlingswellen ein.
Schon jetzt verließen Menschen in der Umgebung Mossuls ihre Häuser, erklärte die IKRK Sprecherin Cecilia Goin aus Bagdad gegenüber der Deutschen Welle. Das UNHCR hat seit März 43.000 interne Flüchtlinge aus Mossul gezählt. Bei einer Intensivierung der Kämpfe könnte die Zahl der Flüchtlinge aus Mossul auf eine Million Menschen steigen, erwartet Cecilia Goin vom IKRK. Die internationalen Hilfsorganisationen stellen sich auf die zu erwartende humanitäre Krise ein. Das UNHCR teilte der DW mit, drei Flüchtlingslager würden in der Umgebung bereits errichtet, weitere zwei würden begutachtet. Zudem würden mögliche Standorte für zusätzliche Camps gesucht.
Die erwartete Flüchtlingswelle aus Mossul trifft auf ein Land, in dem jetzt schon über drei Millionen Menschen interne Flüchtlinge sind - jeder 10. der Bevölkerung. Allein vor dem Kampf um Falludscha sind laut UNHCR seit Mai knapp 90.000 Menschen geflohen. Die Rückkehr in die in weiten Teilen zerstörte Stadt gestaltet sich schwierig und schleppend. Die Zerstörungen waren groß und der IS hat vor seiner Flucht massenhaft Sprengfallen installiert, wie Robert Blecher im DW-Gespräch erläutert.
Angst vor dem IS, Angst vor der Befreiung
Für die bevorstehende Offensive auf Mossul möchte der Nahost-Experte der Crisis Group wegen der vielen Unwägbarkeiten keine genauen Prognosen machen. So viel lässt sich Blecher aber dann doch entlocken: "Eine Menge Leute werden sterben, es wird sehr blutig werden. Und deshalb haben die Einwohner von Mossul genau so viel Angst vor ihrer Befreiung wie vor einem Leben unter dem IS."
Bisher seien Operationen zur Vertreibung des IS im Irak nach dem immer gleichen Muster abgelaufen, erklärt Blecher: Zuerst habe man die Bevölkerung mit Flugblättern zur Flucht aus den Gebieten aufgefordert, wo die heftigsten Kämpfe erwartet wurden. Dann habe man mit Luftangriffen die IS-Stellungen geschwächt. Schließlich sei man mit Truppen in die Stadt vorgerückt. Allerdings habe der IS in der Vergangenheit die Bevölkerung häufig an der Flucht gehindert und sie als menschliche Schutzschilde missbraucht.
Für die Versorgung sämtlicher irakischer Flüchtlinge hat das UNHCR ein Budget von rund einer halbe Milliarde Euro veranschlagt. Anfang August waren davon gerade mal 37 Prozent gedeckt.