Hoffenheim-Trainer: "Wichtig ist das Vorleben"
17. Februar 2017DW: Herr Nagelsmann, Sie haben das Traineramt bei 1899 Hoffenheim übernommen, als der Klub in einer tiefen Krise steckte. Mit Ihnen kam eine wundersame Wende. 28 Jahre waren sie alt. Jeder hat sich gefragt, was macht der eigentlich da, dieser junge Trainer. Was haben Sie für Hebel angesetzt?
Julian Nagelsmann: Ich glaube, der große Schlüssel war zu Beginn die Stimmung. Die Jungs waren natürlich am Boden, die Saison war ganz anders verlaufen als geplant. Da muss man wissen, dass auch die Spieler sich das anders vorgestellt haben. Sie haben das schließlich nicht mit Absicht gemacht. Das erste Rädchen, an dem gedreht werden musste, war die Stimmung. Trotz der prekären Situation, trotz der sehr schlechten Lage, in der wir uns befunden haben. Es ging darum, dass man noch Spaß und Freude an der Arbeit hat.
Die Spieler mussten begreifen, dass das, was sie machen, ihre Leidenschaft ist. Dass man nur mit einer gewissen Freude und Lockerheit auch erfolgreich sein kann. Das war dann auch so. Ich hatte die Vorstellung, dass wir insgesamt torgefährlicher werden müssen. Wir müssen Spiele gewinnen. Wir sollten nicht nur ein Tor, sondern auch auf Kosten eines Gegentores mal mehrere Tore erzielen. Wir brauchten Punkte und mussten dreifach punkten. Deshalb war in den ersten Wochen viel Offensiv-Training angesagt.
Was machen Sie im Tagesgeschäft, um diese positive Stimmung zu erzeugen?
Ich glaube, ganz wichtig ist das Vorleben. Die Spieler merken, dass man selber Lust auf Fußball hat. Man kickt auch immer noch gerne, hat gerne einen Ball am Fuß im Training. Mit welcher Lebensfreude kommt man auf die Arbeit? Ich darf selbst nicht den Eindruck machen, dass ich brutalen Druck oder Angst habe, dass etwas schiefgehen könnte. Ich muss selbst Freude und Zuversicht ausstrahlen, das ist ganz wichtig. Der zweite Punkt ist natürlich, dass ich mit bestimmten Trainingsformen relativ leicht die Stimmung heben kann, zum Beispiel dass die Jungs einfach mal 20 Volleyabschlüsse haben und sich dabei gegenseitig anfeuern. Das hebt ganz schnell mal die Stimmung.
Außerdem hatten wir gleich bei unserem ersten Spiel in Bremen ein Erfolgserlebnis, also relativ zeitnah und aufgrund des Planes, den wir entwickelt hatten. Das hat dazu geführt, dass die Jungs daran geglaubt haben. Es war nicht nur so, dass die Stimmung wichtig war, sondern auch, dass der Plan relativ schnell aufging. Die Spieler haben ihren Glauben wiedergefunden, an sich selbst, an das neue Trainerteam - da spielten viele Dinge mit rein.
Die Hauptarbeit findet auf dem Platz statt
Haben Sie denn auch Einzelgespräche oder Gruppengespräche geführt oder wie muss man sich das vorstellen?
Ja, zu Beginn habe ich viele Einzelgespräche oder auch Gespräche mit dem Mannschaftsrat geführt, um zu hören, woran es in den letzten Wochen gehapert hat. Gibt es vielleicht gewisse Strömungen, die man aufbrechen muss. Dinge, die den Jungs aufgefallen sind und die sie sich vielleicht vorher nicht getraut haben anzusprechen. Aber es war nicht so, dass ich damals exorbitant mehr Gespräche geführt hätte, als ich es jetzt mache. Ich glaube, die Hauptarbeit ist immer noch auf dem Platz und soll auch auf dem Platz sein. Aber diese Gespräche, gerade auch in sehr schweren Zeiten, gehören dazu, das ist logisch.
Sie haben selbst einen persönlichen Coach. Inwieweit hat er Ihnen dabei geholfen?
Die Zusammenarbeit mit meinem Coach ist sehr hilfreich, weil er mir aus wissenschaftlicher Sicht sagt, wie Gruppen funktionieren. Eine Gruppendynamik, eine Mannschaft verhält sich im Prinzip wie eine Herde Pferde: Es gibt immer Leithengste. Man muss herausfinden, wie jeder Spieler tickt und jeden Spieler richtig anzusprechen. Da ist einfach eine Dynamik zu erlernen. Zu wissen, wie schätze ich die Gruppe und ihre einzelnen Spieler ein? Wie packe ich sie richtig an, damit alle top motiviert sind und gut zusammenarbeiten? Das sind alles Dinge, die ich mit meinem Coach bespreche. Er beleuchtet das immer von der wissenschaftlichen Seite, mit Hilfe wissenschaftlicher Modelle. Gemeinschaftlich versuchen wir, das dann auf das reelle Leben umzumünzen.
"Nicht immer nur Friede, Freude und Eierkuchen"
Bei den Leithengsten fällt mir Sandro Wagner ein. Sie haben irgendwann einmal gesagt: "Sandro Wagner ist ein Dreckssack im besten Sinne." Wie gehen Sie als Coach mit einem Dreckssack um? Und viele Dreckssäcke braucht eine Mannschaft, um erfolgreich zu sein?
Ich glaube, nicht zu viele. Es dürfen keine drei oder vier sein. Das würde dann sonst auch innerhalb der Dreckssackgruppe zu einem Konkurrenzkampf führen. Aber ich glaube, einer oder zwei tun schon gut, am besten auf verschiedenen Positionen. Im Stadion, wenn es sehr laut ist, hast du als Trainer nur einen begrenzten Einfluss. Dann müssen Spieler auf dem Feld sein, die den Plan verstehen und sich die Jungs auch mal packen, wenn etwas nicht richtig läuft. Nicht immer nur Friede, Freude und Eierkuchen. Mit Sandro Wagner gab es ein paar Gespräche. Er ist ein erfahrener Spieler und hat schon viele Spiele mitgemacht. Er war in vielen verschiedenen Klubs, hat nicht immer gespielt, aber hat schon viel erlebt mit verschiedenen Trainern und hat auch einen großen Erfahrungsschatz, den er dann an die Jungs auch weitergibt. Da bin ich sehr zufrieden.
Sie kommen aus Hoffenheimer Fußballschule beziehungsweise der dortigen Trainerschule. Gibt es bei der TSG eine durchgehende Philosophie, mit der sie aufgewachsen sind? Welcher Trainer hat sie in ihrer Jugendzeit am meisten geprägt?
Ich kam hierher während der Amtszeit Ralf Rangnicks bei den Profis. Mit Bernhard Peters und Ernst Tanner waren Leute im Hintergrund, die immer mit den Jugendtrainern zusammen gearbeitet haben. Wir haben in jeder Alltagsstruktur Lernziele, die die Jungs beherrschen sollten, wenn sie die Mannschaft verlassen. Alles ist immer sehr altersspezifisch. Das Gleiche gilt auch für die Trainer. Jedes halbe Jahr werden sie beurteilt. Dazu werden auch die Ansprachen an die Mannschaft gefilmt. Bernhard Peters [Anm.d.Red.: ehemaliger Hockey-Bundestrainer] war im Jugendbereich der Vorreiter, der ständig mit uns gearbeitet hat. Er hat die Workshops geleitet, um die Philosophie weiterzuentwickeln und um sie zu kontrollieren.
Wenige Mannschaften mit direktem Spiel erfolgreich
Als Spielphilosophie der TSG Hoffenheim gilt der One Touch Football. Ich denke, Sie sind eher einer, der für Two Touch Football steht. Stimmt das?
Ja, ich bin kein so großer Freund vom direkten Spiel. Es gibt natürlich immer Situationen, in denen man einen Ball mal direkt spielen muss. Die Regel sollte aber sein, dass die Jungs versuchen, im Training mit zwei Kontakten zu spielen. Mir ist es lieber, wir brauchen einen Tick länger, um einen Angriff zu Ende zu spielen, haben dafür aber eine höhere Wahrscheinlichkeit, erfolgreich abzuschließen.
Ich habe viele Spiele gesehen, auch in der Champions League. Es gibt wenige Mannschaften, die sehr erfolgreich sind mit direktem Spiel. Vielen Mannschaften, die die Spiele so gestalten, passieren einfach viele Fehler. Oft ist es so, dass du immer wieder dem Ball hinterherrennst.
Sie wirken schon mit 29 sehr abgeklärt und souverän. Hat Ihnen das jemand in die Wiege gelegt?
Ja, ich glaube gewisse Dinge schon. Reden und solche Dinge, die muss man können, die kann man schwer lernen. Natürlich kann man Kommunikationsseminare besuchen, aber das habe ich noch nie gemacht. Vielleicht sollte ich das mal machen. Vielleicht rede ich dann noch schöner, ich weiß es nicht.
Herr Nagelsmann, jeder Trainer wünscht sich ja irgendwann mal einen Titelgewinn, will mal den Pokal hochheben, von daher muss ich Ihnen auch diese Frage stellen: Wann wird die TSG deutscher Meister?
Eine sehr schwere Frage, da ist es kompliziert, eine Antwort zu finden. Einen der ersten beiden Plätze in der Tabelle zu belegen oder sogar Meister zu werden, ist sehr schwer. Es könnte dann gelingen, wenn Bayern München vielleicht mal pleite geht, aber ich glaube, das wird nicht passieren. Das Dortmund pleite geht, wird wohl auch nicht mehr passieren, und dann gibt es noch andere Mannschaften, die ordentliche Etats zur Verfügung haben. Viel Geld, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Es hat uns keiner gesagt, wir dürften nicht deutscher Meister werden, aber ich glaube, es wird schwer.
1987 in Landsberg am Lech geboren, spielte Julian Nagelsmann für die Jugendabteilungen des FC Augsburg und des TSV 1860 München. Nach dem verletzungsbedingten frühen Ende seiner Spielerkarriere wechselte Nagelsmann zur Saison 2010/11 in die Jugend-Trainerabteilung der TSG Hoffenheim. Unter Interimstrainer Frank Kramer rückte er im Dezember 2012 als Co-Trainer zu den Profis auf. Im Frühjahr 2016 übernahm er das Amt des Cheftrainers von Huub Stevens.
Das Interview führte Thomas Berthold.