Wiege der Zivilisation und Pulverfass
8. Juni 2017Sunna und Schia
Die Sunna, "die Tradition (des Propheten Mohammed)", ist die größte Glaubensrichtung innerhalb des Islam; ihre Anhänger heißen Sunniten. Ihnen stehen die Schiiten gegenüber, die Anhänger der Glaubensrichtung Schia, "die Partei", die sich auf Ali ibn Abi Talib, den Schwiegersohn und Vetter Mohammeds berufen. Der Legende nach gab es die erste Auseinandersetzung zwischen den Anhängern Mohammed und denen Alis gleich nach dem Tod des Propheten: Während Alis Anhänger noch mit dem Begräbnis Mohammeds beschäftigt waren, wurde von der Mohammed-Fraktion Abu Bakr als Nachfolger ausgerufen.
Sunniten und Schiiten pflegen nicht nur unterschiedliche Auslegungen des Islam, sie stehen sich auch politisch immer wieder als Gegner gegenüber. So kämpfte im Ersten Golfkrieg von 1980 bis 1988 der schiitische Iran gegen den Irak. Letzterer ist zwar ebenfalls überwiegend von Schiiten bewohnt, wurde aber damals von den Sunniten um die Herrscherfamilie Saddam Husseins dominiert. Dem Sunniten Saddam Hussein ging es zwar hauptsächlich um regionale Macht und den Zugang zu Ölquellen, jedoch spielte er häufig auf die islamische Expansion an - obwohl auch der Iran ein islamischer Staat ist. Heute ist der Iran als schiitischer Gottesstaat ein Gegner vieler arabischer Staaten, die von Sunniten dominiert werden.
Eine dritte, unabhängige Glaubensrichtung des Islam bilden die Ibaditen, die weder Sunniten noch Schiiten sind. Die meisten Ibaditen leben im Golfstaat Oman.
Die Monarchien
Quer über die arabische Halbinsel, von Jordanien bis zum Indischen Ozean, legt sich ein breiter Gürtel konservativer islamischer Staaten. Doch während Jordanien unter König Abdullah II eine westlich orientierte Monarchie ist, die sogar mit dem benachbarten Israel einen Friedensvertrag geschlossen hat, sind Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Bahrain und Oman streng islamische Monarchien, in denen das Recht der Scharia gilt und oft noch im mittelalterlichen Sinn ausgelegt wird.
Frauen haben wenige oder keine Rechte. Im Königreich Saudi-Arabien müssen sie einen gesetzlichen Vormund haben, meist ist das der Ehemann, vor der Ehe oft der Vater oder ein Bruder. In der Stadt dürfen Frauen nicht Auto fahren und bis in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durften sie keine Schulen besuchen.
Die arabischen Monarchien sind überwiegend vom Geschäft mit Rohöl abhängig und gelten als wenig vorbereitet auf die Zeit nach dem großen Ölgeschäft. Bisher sind sie aber zahlungskräftige Geschäftspartner westlicher Staaten und kaufen von Waffen bis Luxusautos alles, was gut und teuer ist. Gleichzeitig stehen sie wiederholt im Verdacht, islamistische Organisationen und Terroristen zu unterstützen: Osama bin Laden, der Gründer der Gruppe al-Qaida, und 15 der 19 Flugzeugentführer der Terroranschläge am 11. September 2001 stammten aus Saudi-Arabien.
Iran, die islamische Republik
Im Januar 1979 verließ Staatsoberhaupt Schah Reza Pahlewi den Iran, nachdem die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland ihm ihre Unterstützung entzogen hatten. Am 1. Februar 1979 kehrte der islamische Geistliche Ayatollah Ruhollah Khomeini aus dem französischen Exil zurück und begann den Umbau des Iran von einer westlich orientierten Monarchie in einen islamischen Gottesstaat. Dieser Umbau war von Terror und Repressionen geprägt. In den Jahren darauf war der Iran international weitgehend isoliert. Vorsichtige Versuche der inneren Liberalisierung schlugen wiederholt fehl.
Der konservative Präsident Mahmud Ahmadinedschad betrieb seit 2005 eine Politik der Konfrontation nach außen und der Unterdrückung nach innen. International kritisiert wurde er für seine rhetorischen Ausfälle, in denen er Israel wiederholt das Existenzrecht absprach.
Seit dem Jahr 2013 ist der als gemäßigt geltende Hassan Rohani Präsident des Landes, 2017 wurde er wiedergewählt. In seiner Amtszeit schloss der Iran mit den UN-Vetomächten - darunter den USA - und Deutschland einen Vertrag, der das iranische Atomprogramm regulierte. Im Januar 2016 wurden die internationalen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben. Für einige Nachbarstaaten und für die USA unter Donald Trump gilt der Iran aber nach wie vor als "Hort des Terrorismus", obwohl es auch im Land selbst Terroranschläge gibt.
Die Türkei zwischen Ost und West
Seit ihrer Gründung im Jahr 1923 herrscht in der Türkei die Trennung von Religion und Staat. 99% der Türken sind jedoch Muslime, die meisten davon Sunniten. Die Religion gewinnt in den vergangenen Jahren auch durch die Wahlergebnisse der islamisch-konservativen AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan inoffiziell an Einfluss.
Im April 2017 sprach sich bei einem Referendum die Mehrheit der teilnehmenden Türken für den Umbau des Landes in ein Präsidialsystem aus, in dem der Präsident (derzeit Erdogan) erheblich mehr Macht haben wird als bisher.
Die Türkei ist eine parlamentarische Republik und Mitglied der NATO. Ihre Orientierung nach Westen ließ unter Erdogan nach. Die Beitrittsgespräche zur Europäischen Union sind zum Stillstand gekommen. Seit dem missglückten Putsch im Juli 2016 und den darauf folgenden Massenverhaftungen ist das Verhältnis der Türkei besonders zu Deutschland schwer gestört.
Die Innenpolitik der Türkei ist seit der Staatsgründung vom Konflikt mit der kurdischen Minderheit bestimmt. Erdogans Kampf gegen die verbotene Kurdenorganisation PKK führte schon in den späten 1990er Jahren zu Kriegsdrohungen gegen Syrien, als Damaskus die PKK unterstützte. In den Jahren seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs forderte die Türkei Syriens Staatschef al-Assad mehrfach zum Rücktritt auf. Kämpfer der syrischen Opposition werden von der Türkei ausgebildet und unterstützt. Gleichzeitig unterstützt die Türkei internationale Einsätze gegen die Terromiliz "Islamischer Staat" und bekämpft somit einen der Gegner Assads in Syrien.
Der zerrissene Staat: Syrien
2011 verbreiteten sich die Protestbewegungen des "Arabischer Frühlings" von Tunesien aus durch die afrikanischen und arabischen Mittelmeerstaaten. In Syrien entwickelten sich die Proteste zu einem Bürgerkrieg, der seitdem 400.000 Menschen das Leben kostete. Mehr als 11 Millionen Syrer sind auf der Flucht. Seit 2014 spielt der sogenannte "Islamische Staat", eine sunnitisch geprägte islamische Organisation, eine führende Rolle im Kampf gegen das Regime von Präsident Baschar Al-Assad. Assad wiederum wird von der schiitischen Hisbollah unterstützt.
In Syrien und im Irak versucht der IS, "seine" Gebiete unter Kontrolle zu halten. Im ohnehin vom Bürgerkrieg geschwächten Syrien sorgt er dafür, dass das Land weiterhin geteilt und zerrissen ist.
Schlagartig isoliert: Katar
Anfang Juni brachen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain überraschend alle Kontakte zu dem kleinen Emirat am Persischen Golf ab. Die Begründung: Das überwiegend sunnitische Katar unterstütze Terrororganisationen vom "Islamischen Staat" über die Muslimbrüder und die Palästinenserorganisation Hamas bis hin zu Gruppen, die vom schiitischen Iran unterstützt würden.
Dies sind jedoch Vorwürfe, die sich auch andere arabische Staaten haben machen lassen müssen. Inoffiziell könnte deshalb die vorsichtige Annäherung Katars an den Iran, die vor allem Saudi-Arabien ein Dorn im Auge ist, der Hauptgrund sein. In den Tagen nach der internationalen Isolierung Katars tauchten jedoch Gerüchte aus US-amerikanischen Geheimdienstkreisen auf, russische Hacker hätten die Krise durch eine gezielt platzierte Falschinformation bei der staatlichen Nachrichtenagentur Katars ausgelöst.
Schwieriger Balanceakt für die Weltmacht USA
Die USA stehen in dem Konflikt zwischen den Fronten. Einerseits betreiben sie in Katar ihren größten Stützpunkt am Persischen Golf; andererseits sind sowohl Katar als auch seine Gegner Saudi-Arabien, Bahrain, die VAE und Ägypten Verbündete der USA - und alle gemeinsam gegen den Islamischen Staat.
Washington ließ deshalb wissen, die Regierung Trump wolle keinen dauerhaften Bruch zwischen den Golfstaaten und erkläre sich zur Vermittlung bereit.