Netanjahu, Putin und die radikalen Schiiten
8. März 2017Sein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin dürfte deutlich werden, daran hatte der israelische Premierminister schon vor seiner Abreise nach Moskau keinen Zweifel gelassen. Es müsse darum gehen, eine Vereinbarung zum Syrienkonflikt zu finden, hatte Netanjahu in seiner Rede vor dem Kabinett erklärt. Und im Zentrum dieses Konflikts steht aus israelischer Sicht Iran, einer der russischen Verbündeten in der Region. "Iran versucht sich dauerhaft in Syrien zu etablieren, und zwar durch eine militärische Präsenz zu Land und zu Wasser." Das wertet Israel als Bedrohung. "Iran versucht Schritt für Schritt auf den Golan-Höhen eine Front gegen uns zu eröffnen. Ich werde Putin persönlich Israels entschlossenen Widerstand gegenüber dieser Möglichkeit ausdrücken."
Wie ernst Israel diese Bedrohung nimmt, hatte sich in den vergangenen Wochen gezeigt. Am 8. Januar, berichtet die Zeitung Times of Israel, habe Israel unbestätigten Berichten zufolge eine Reihe von Luftschlägen gegen eine Zelle der schiitischen Hisbollah auf den Golan-Höhen durchgeführt. Dabei sollen sechs Hisbollah-Kämpfer und ein Brigadegeneral der iranischen Revolutionären Garden getötet worden sein. Der Iraner soll die Hisbollah bei der Entwicklung ihrer operationellen Schlagkraft auf dem Golan unterstützt haben. Ebenso soll Israel mehrere Luftschläge gegen Waffenkonvois in Richtung Libanon unternommen haben. Seitdem ist es zwischen Israel und der Hisbollah zu mehreren Zusammenstößen gekommen.
Schlüsselregion Syrien
Die Lage in Syrien und ihre Folgen hat für Israel nach Einschätzung des hochrangigen Sicherheitsberaters Chagai Tzuriel höchste Priorität. "Syrien ist eine Schlüsselregion, denn es ist ein Mikrokosmos von allem: Dort sind Weltmächte wie Russland und die USA präsent; regionale Akteure wie Iran und die Türkei; zudem rivalisierende Gruppen innerhalb des Landes selbst, wie etwa das Assad-Regime, die Opposition, die Kurden und der Islamische Staat." Alles, was in Syrien geschehe, habe größte Auswirkungen auf die gesamte Region, und zwar für die nächsten Jahre. Schon jetzt hätte die Entwicklung zu "einem starken Ungleichgewicht in der Region zugunsten Irans geführt", so Tzuriel. Vor allem die Präsenz Irans und der Hisbollah in Syrien würde zu einem beständigen Unruhefaktor in der Region. Eben das will Israel vermeiden.
Sollten Iran und die Hisbollah sich in Syrien festsetzen, stünden zwei der bedeutendsten Feinde Israels unmittelbar vor den Grenzen des jüdischen Staats. Beschränkte sich Iran bislang auf verbale Angriffe gegen Israel, kam es zwischen Israel und der Hisbollah bereits wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen - am heftigsten im Libanonkrieg von 2006. Dabei starben auf libanesischer Seite knapp 1100, auf israelischer gut 160 Menschen.
Vor dem Hintergrund solcher Auseinandersetzungen dürften Iran und die Hisbollah vorsichtig und pragmatisch geworden sein, sagt der Journalist und Nahost-Analyst Khaled Yacoub Oweis, derzeit Fellow an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die Hisbollah weiß, dass ein Angriff auf Israel schwerste Konsequenzen für den Libanon hätte." Das, so Oweis gegenüber der DW, könnte die Hisbollah einen Teil ihrer Popularität kosten. "Auch der Iran würde nichts auf dem Golan gegen Israel tun, ohne die Konsequenzen in Betracht zu ziehen."
"Hisbollahstan" vor Israels Grenzen
Die Gefahren und Herausforderungen sind allerdings vielfältig. Israel müsse sich in den Syrien-Debatten stärker engagieren, sagt die Strategie-Analystin Sarah Feinberg vom Institute for National Security Studies in Tel Aviv gegenüber der Zeitung The Algemeiner Journal. Denn die Gefahren beschränkten sich nicht auf ein paar Raketen, die über die Grenzen auf dem Golan einschlagen könnten. "Vielmehr geht es darum, dass an Israels nordöstlicher Grenze ein dauerhaftes "Hisbollahstan" entstehen könnte, meint die Analystin in Anspielung auf von politischem Terror bedrohte Staaten wie Afghanistan und Pakistan.
Zwar haben diese beiden Länder es mit einem sunnitisch geprägten Terror zu tun. Doch die Härte schiitischer Milizen steht denen der Sunniten kaum nach. Diese hätten dazu beigetragen, den Konflikt in Syrien durch ihr hartes Vorgehen gegen die Sunniten erheblich zu verschärfen, so Khaled Yacoub Oweis gegenüber der DW. Viele Sunniten seien vom Assad-Regime über Jahrzehnte drangsaliert worden. "Ihr eigentlicher Kampf richtet sich darum nicht gegen Israel. Er richtet sich gegen das Assad-Regime."
Warnung an den Iran
In Moskau dürfte Premier Netanjahu versuchen, auch die Schiiten einzuhegen. Die Chancen dafür seien gegeben, so Oweis. Zwar habe Iran seine Stellung als regionale Vormacht in den letzten Jahren ausbauen können. Aber das verdanke das Land ganz wesentlich dem militärischen und finanziellen Engagement Russlands. "Eben darum ist Iran von Russland auch sehr abhängig. Deswegen hat Russland vermutlich auch grünes Licht gegeben, als Israel pro-iranische militärische Ziele angriff. Auf die eine oder andere Weise hat Putin die Iraner also gewarnt, sich mit Israel anzulegen."
In Moskau möchte sich Netanjahu bemühen, Russland weiter dazu zu bewegen, auf die israelischen Belange Rücksicht zu nehmen. Die Chancen stehen zumindest mit Blick auf die Schiiten gut. Denn Russlands schiitische Partner Syrien und Iran haben sich zuletzt als durchaus eigenständige Akteure erwiesen, die ihre Ziele notfalls auch ohne Zustimmung Russlands durchzusetzen versuchen. Das wiederum könnte Russland und Israel zu engerer Kooperation bewegen: Die Einhegung des radikalen Schiitentums liegt im Interesse beider Staaten.