"Eine Erinnerung, die in die Zukunft weist"
11. Dezember 2021"Dieser Ort ist so wichtig für die Erinnerung. Für eine Erinnerung, die sich aber nicht in der Vergangenheit begräbt, sondern in die Zukunft weist." Gut eine Stunde ging Claudia Roth - nur mit zwei, drei Begleitern - durch die KZ-Gedenkstätte Buchenwald in Thüringen, nun steht sie vor zwei Dutzend Journalisten. Gerade einmal zwei Tage ist die Grünen-Politikerin im Amt als Staatsministerin für Kultur."Es ist mir sehr wichtig, dass ich am Anfang meiner neuen Tätigkeit als Kulturstaatsministerin ein Zeichen setzen kann, welche Bedeutung Erinnerungskultur hat."
Es ist 15:15 Uhr - das ist jene Zeit, die die Uhr am kleinen Turm über dem Eingang zum KZ Buchenwald stets zeigt. Am 11. April 1945 endete um diese Uhrzeit für all jene, die die Nazis hier eingesperrt hatten, die Hölle und begann die Freiheit. Es ist jene Zeit, die die Überlebenden nie mehr loswurden.
Innehalten
Auch heute, an diesem sonnig-kalten Dezembertag, ist es 15:15 Uhr, als Roth nach ihrem gut 60-minütigen Gang durch das Areal an das "Denkmal an ein Denkmal" tritt, den dort liegenden Kranz mit weißen Blüten richtet, still verweilt.
Buchenwald - das war die Hölle. Eine der vielen Höllen in der nationalsozialistischen Verfolgungs- uns Tötungsmaschine. Im KZ Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar waren zwischen 1937 und 1945 etwa 280.000 Menschen inhaftiert. Die meisten der etwa 56.000 Häftlinge, die während der Haft an den schrecklichen Bedingungen starben oder von Mitgliedern der Nazi-Organisation SS getötet wurden, waren Juden. Zum System Buchenwald gehörten außer dem KZ auf dem Ettersberg mehr als 50 kleine Außenlager - zumeist an Stätten kriegswichtiger Produktion. Und nach 1945 nutzten die Sowjets das Gelände für eines ihrer "Speziallager". Bis 1950 starben hier wohl weitere 7000 Menschen. Später spricht Roth von einem Ort, an dem "die Menschenwürde zerstört, ermordet, vernichtet, gequält, gefoltert, gedemütigt, bekämpft wurde".
Digitale Vermittlung
Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff begleitet mit dem stellvertretenden Leiter der Gedenkstätte, Philipp Neumann-Thein, Roth durch das Gelände. Durch das Portal mit der zynischen Beschriftung "Jedem das Seine" entlang der Zäune hinüber zum Krematorium. Dann geht es in die Dauerausstellung in einem der erhaltenen Gebäude. Alle drei berichten später, wie wichtig neue Formen der Vermittlung zum Beispiel im digitalen Bereich seien, um junge Menschen auch noch zu erreichen, wenn die Überlebenden, die Zeitzeugen verstorben seien.
"Die Würde des Menschen"
Und Roth nennt noch einen weiteren Punkt, warum ihr der Besuch an diesem Freitag so wichtig war. Der 10. Dezember ist der "Tag der Menschenrechte" der Vereinten Nationen. "Die Menschenrechte sind unteilbar, sind universell gültig", sagt die 66-Jährige. Und in der Charta der Vereinten Nationen und im Grundgesetz stehe eben nicht, "die Würde des männlichen oder des weißen oder des christlichen oder des heterosexuellen oder des nichtbehinderten Menschen ist unantastbar, sondern da steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Ob Heranwachsende in Deutschland einmal in ihrer Schulzeit einen Ort wie Buchenwald besuchen sollten? Sie würde sich das sehr wünschen, sagt Roth, erzwingen könne man das kaum. Und dann kommt sie wieder auf das "Denkmal an ein Denkmal" zu sprechen. Zum ersten Mal habe sie gesehen, dass in Buchenwald auch Häftlinge aus dem Senegal, aus Syrien oder der Türkei interniert waren. Insgesamt sind die Namen von 57 Nationen und Opfergruppen auf der metallenen Bodenplatte eingraviert. Und ihr Mittelteil ist dauerhaft auf eine Temperatur von 37 Grad erwärmt, die menschliche Körpertemperatur. "Was macht das mit jungen Leuten, die hierhin kommen", fragt Roth.
Hass und Drohungen
Und alle drei mahnen für die Gegenwart. Claudia Roth spricht von den Feinden der Demokratie, die mit Hass und Drohungen arbeiteten und Politiker, Künstler oder Journalisten einschüchtern wollten. Dass ein Fackelzug vor das Privathaus einer Politikerin ziehe, "hätte ich nicht für möglich gehalten". Der Direktor der "Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora", Jens-Christian Wagner, beklagt in einem schriftlichen Statement Angriffe auf die Gedenkstättenarbeit. So gebe es in den letzten Wochen Hassmails, "in denen die Corona-Schutzmaßnahmen mit den NS-Verbrechen gleichgesetzt wurden".
Vor der Gedenkstätte stehen, während Claudia Roth zu Gast ist, nur zwei Polizeiwagen. Aber während der Fahrt hinab nach Weimar sieht man dann doch eine ganze Reihe von zivilen Fahrzeugen, die das geübte Auge des Taxifahrers dem Landeskriminalamt zuordnet.
Gegen das Vergessen
Seit zwei Tagen ist die 66-Jährige Kulturstaatsministerin der Bundesregierung. Ihr erster Termin außerhalb der Hauptstadt Berlin ist dabei schon ihr zweites Signal, wie wichtig ihr Erinnerungskultur ist, wie sehr sie daran arbeiten möchte in den kommenden Jahren. Noch am Mittwochmorgen, vor ihrer offiziellen Ernennung, hatte sie in Berlin in der Nähe des Reichstages das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma besucht und dort Blumen niedergelegt.