Noch ein Bündnis in Lateinamerika
2. Dezember 2011Die Staats- und Regierungschefs von 33 lateinamerikanischen und karibischen Staaten kommen an diesem Wochenende (2./3. Dezember) in Venezuela zusammen um das neue Regionalbündnis CELAC formell aus der Taufe zu heben. Für den venezolanischen Präsidenten ist der Gipfel gleichzeitig einen willkommene Gelegenheit, sich nach seiner eigenen Angaben zufolgen überwundenen Krebserkrankung wieder auf internationaler Bühne zu präsentieren.
Nach der Union Südamerikanischer Staaten UNASUR, der Andengemeinschaft, der Rio-Gruppe und den Wirtschaftsbündnissen Mercosur und ALBA, jetzt also ein weiteres Bündnis in Lateinamerika: CELAC, die Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten. „Die bisherigen Bündnisse wie Mercosur und Unasur sind regional auf Südamerika begrenzt. Celac integriert hingegen auch Mittelamerika und die Karibik“, erläutert Thomas Fritz vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika in Berlin die Bedeutung dieses ersten lateinamerikanischen Staatenbundes. „Keines der bestehenden Bündnisse funktioniert richtig“, ergänzt Peter Rösler, stellvertretender Geschäftsführer des Lateinamerika-Vereins der deutschen Wirtschaft (LAV), der der Gründung der CELAC skeptisch gegenüber steht. Schon der Mercosur mit seinen vier Mitgliedsländern leide unter den Streitigkeiten zwischen Argentinien und Brasilien, die den gemeinsamen Markt immer wieder durch Importzölle blockieren. „Jetzt wird noch eine weitere Organisation oben drauf gesetzt, die geographisch die umfassendste ist. Sollte Celac funktionieren, wäre das keine schlechte Idee. Aber auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen Bündnissen sind Zweifel angebracht. Erstmal sollten die bestehenden Bündnisse mit Leben gefüllt werden“, gibt sich Peter Rösler skeptisch.
Keine Region der Welt bietet, im Prinzip, so gute Rahmenbedingungen für die regionale Integration wie Lateinamerika: von Mexiko bis Feuerland sprechen rund 500 Millionen Menschen die selbe Sprache, mit Ausnahme nur von Brasilien. Alle Länder der Region haben eine ähnliche historische Entwicklung hinter sich; die meisten errangen vor 200 Jahren ihre Unabhängigkeit von Spanien. Und außer in Kuba sind in allen Ländern Lateinamerikas demokratische gewählte Regierungen an der Macht.
Konkurrenz für die OAS
Celac ist jetzt also der Versuch, nicht nur die Einheit in der gesamten Region zu stärken, sondern vor allem auch den USA in ihrem vermeintlichen „Hinterhof“ selbstbewusst entgegenzutreten. Denn bei genauer Betrachtung ist die Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten mit ihren 33 Mitgliedern nichts anderes als die 1948 gegründete Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ohne die USA und Kanada. Er hoffe, die CELAC werde die OAS „eher früher als später“ ersetzen, formulierte Ecuadors Präsident Rafael Correa vor dem Treffen wohl die Erwartungen vieler. Im Unterschied zur OAS gehört Kuba der Celac ebenfalls an.
Doch die Frage der Haltung zu den USA könnte innerhalb der Celac schon bald für Spannungen sorgen. „Das Signal der politischen Emanzipation von Washington geht nur von einem Teil der Mitglieder aus, das ist eher ein Anliegen linker Regierungen. Hier ist Venezuela die treibende Kraft“, sagt Thomas Fritz. „Brasilien hingegen nimmt eher eine vermittelnde Rolle ein wenn es um eine größere Autonomie von der OAS geht. Ganz anders hingegen ist der Standpunkt von Chile und Peru, die eine enge Kooperation mit den USA dezidiert anstreben.“ Chile, Peru und auch Kolumbien haben jeweils bilaterale Freihandelsabkommen mit Washington unterzeichnet. Gemeinsam mit Mexiko arbeiten diese drei Länder bereits an einem weiteren Regionalbündnis, dem Pazifik-Abkommen. „Diese eher wirtschaftsliberal orientierten Länder wollen hier ein Gegengewicht zum Mercosur schaffen“, so die Analyse von Thomas Fritz, „in Abgrenzung zu den Regierungen, die eher auf staatliche Intervention und auf eine aktive Sozialpolitik setzen.“
Der Mercosur ist nach Fritz' Einschätzung immerhin das am weitesten entwickelte regionale Bündnis. „Hier sind die Binnenzölle beseitigt und gemeinsame Außenzölle eingeführt worden. Das sind Entscheidungen, die von den Mitgliedsländern die Preisgabe nationaler Souveränität erfordert haben.“ Doch gerade diese Vereinbahrungen würden immer wieder von der „politischen Willkür der Regierungen“ torpediert, kritisiert Peter Rösler vom LAV: „Es mangelt an der Institutionalisierung der Integrationsinitiativen, es fehlen klare Regeln um Verstöße gegen die Abkommen zu sanktionieren.“
Spannungen sind vorprogrammiert
Die Celac wird viel auszuhalten haben, wenn sie die gegensätzlichen lateinamerikanischen Interessen unter einen Hut bringen will. Knackpunkte sieht Thomas Fritz vor allem in der Forderung der linken Regierungen nach einem eigenen Rat für Menschenrechte innerhalb der Celac. „Venezuela und Ecuador wollen damit die Interamerikanische Menschenrechtskommission der OAS umgehen, die zuletzt die Mediengesetzgebung in diesen Ländern kritisiert hat.“ Die Präsidenten Chávez und Correa hatten diese Kritik als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen. „Von einem Menschenrechtsrat der Celac erhoffen sie sich, in Ruhe gelassen zu werden“, sagt Thomas Fritz. Auch eine gemeinsame lateinamerikanische Außen- und Sicherheitspolitik scheint derzeit kaum realistisch, zu unterschiedlich sind auch hier die Positionen gegenüber den USA. Das Militärabkommen zwischen Kolumbien und den USA, das US-Truppen die Nutzung von Stützpunkten in dem südamerikanischen Land ermöglicht, ist anderen Ländern in der Region, allen voran Venezuela, ein Dorn im Auge, befürchten sie doch, dass die militärische Präsenz der USA im Herzen Südamerikas je nach Interessenalge nicht vor den kolumbianischen Landesgrenzen halt machen würde.
Neuer Partner für die EU?
Ob der neue Staatenbund sich zu einem international anerkannten Partner entwickelt, werde davon abhängen, „wie stark sich die Institutionalisierung entwickelt“, gibt auch Thomas Fritz zu bedenken. Eine erste Bewährungsprobe wird der nächste EU-Lateinamerika-Gipfel im kommenden Jahr in Santiago de Chile bieten. Auf jeden Fall werden die etablierten Bündnisse der Region als Verhandlungspartner für die EU weiterhin interessant bleiben, so Fritz' Prognose. Mit Mexiko und Chile hat die EU bereits bilaterale Assoziierungsabkommen unterzeichnet, mit der Andengemeinschaft (Peru, Bolivien, Ecuador, Kolumbien) und mit den Staaten Mittelamerikas wird derzeit noch verhandelt.
Europa werde sich mittelfristig jedoch damit abfinden müssen, dass seine wirtschaftliche und politische Bedeutung für Lateinamerika schrumpfen wird. „Lateinamerika hat ein großes Interesse daran, die eigenen Märkte zu diversifizieren und Europa kann als Absatzmarkt nicht mit aufstrebenden Ländern wie China und Indien mithalten“, so Thomas Fritz. China sei bereits der wichtigste Exportmarkt für Chile, Argentinien und Brasilien, gibt Peter Röser zu bedenken: „Die boomende chinesische Wirtschaft fragt Rohstoffe in einer Menge nach, die weder Europa noch die USA abnehmen könnten.“ China werde zur Absicherung seines Rohstoff- und Lebensmittelbedarfs auch zunehmend in Lateinamerika direkt investieren. „Wenn China Industrieunternehmen in Lateinamerika errichtet, z. B. in der Automobilbranche, wird sich die deutsche Wirtschaft künftig auch in Lateinamerika der Konkurrenz aus Asien stellen müssen“, so Röslers Prognose.
Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Thomas Latschan