"Sie beugte sich über die Erschöpften"
4. September 2016Das hätte Mutter Teresa gefallen, und es ist eine typische Franziskus-Idee: Pizza Napoletana für alle, für 1500 römische Obdachlose und Arme. Das Kirchenoberhaupt hatte sie eingeladen, erst zur Heiligsprechung der Ordensgründerin auf den Petersplatz, danach zum Essen in die Vatikanische Audienzhalle. Aus Neapel waren eigens 20 Pizzabäcker mit drei Öfen angereist. Mit "Buon pranzo" beendet der Papst jedes seiner sonntäglichen Mittagsgebete in Rom: "Guten Appetit". Das passte an diesem Sonntag besonders.
"Höhepunkt im Jahr der Barmherzigkeit"
Die große Pizza für alle scheint nur eine Anekdote. Aber sie veranschaulicht, warum es für Franziskus ein, vielleicht der Höhepunkt des ihm so wichtigen "Heiligen Jahres der Barmherzigkeit" ist. Johannes Paul II. hatte die Ordensgründerin 2003 in Rekordzeit - sechs Jahre nach ihrem Tod - selig gesprochen, nun ließ Franziskus einen Tag vor Teresas 19. Todestag die Heiligsprechung folgen. Und sprach vor 100.000 Gläubigen vom "beredten Zeugnis für die Nähe Gottes zu den Ärmsten der Armen".
"Diese unermüdliche Arbeiterin der Barmherzigkeit helfe uns, immer besser zu begreifen, dass das einzige Kriterium für unser Handeln die gegenleistungsfreie Liebe ist", sagte der Papst, unabhängig von Ideologie, Kultur, Ethnie oder Religion. "Sie beugte sich über die Erschöpften." Und er nannte - unter Beifall - auch die politische Dimension in einer "entmutigten Menschheit": "Sie erhob ihre Stimme vor den Mächtigen der Welt, damit sie angesichts der Verbrechen der Armut, die sie selbst geschaffen hatten, ihre Schuld erkennen sollten." Da sprach Franziskus über Teresa, und gewiss sprach Franziskus auch über sein eigenes stetes, gelegentlich lautes, fast wütendes Mahnen.
Die Frau aus Skopje
Nun gilt die kleine Frau aus Skopje als heilig. Teresa, die jung auszog, um als Ordensfrau in Indien eher wohlhabende Kinder zu unterrichten - und die dann die Sterbenden auf den Straßen entdeckte und ihr Leben radikal änderte, Menschen aufnahm, "Sterbehäuser" errichtete. Die auch kritisiert wurde, weil sie so vehement gegen Abtreibung eintrat und weil ihre Hilfe direkt, aber nicht nachhaltig war. Sie war keine Entwicklungshelferin, aber sie bekam 1979 den Friedensnobelpreis und wurde weltweit gefeiert.
Nach kirchlicher Lehre kann Teresa nun auch weltweit verehrt werden. Was längst schon geschieht. "Es ist ihr ganzes Leben, ihre Liebe zu den Menschen, zu den Armen", sagt Father Joseph Kimbukwe (47). Deshalb wollte der Priester aus Kampala, der Teresa zu Lebzeiten nie traf, ihre Heiligsprechung erleben und reiste mit 50 anderen Ugandern nach Rom. In der ugandischen Hauptstadt wirken Schwestern von Teresas Orden "Missionarinnen der Nächstenliebe".
Die Inderin Suneitra David lebt seit acht Jahren in Rom. Sie ist nicht katholisch, aber es sei ihr, sagt sie im Gedränge auf dem Petersplatz, eine Ehre, dabei zu sein. "Sie hat allen geholfen, und sie ist eine geistliche Führerin. Eine gute Frau." Es sind wohl einige tausend Inder in der Menge. Und oben neben dem Altar sitzt ihr Regierungschef Narendra Modi.
Der Tod im Jemen
Den stärksten, ergreifendsten Moment rund um die Heiligsprechung hatte es bereits am Samstag gegeben. Da traf Franziskus auf dem vorderen Teil des Petersplatzes einige tausend Freiwillige, die den Vatikan bei allem Trubel des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit ehrenamtlich unterstützen. Es war ein - für vatikanische Verhältnisse - familiärer Rahmen. Im Papamobil nahm der 79-Jährige sechs Jugendliche mit, hielt immer wieder an, stieg auch mal aus, fuhr manchen Weg zweimal. Eine Dankeschön-Party, konnte man fast denken.
Aber dann, als Franziskus Platz genommen hatte, trat Schwester Sally ans Mikrofon. Seit Jahren lebt sie im Jemen, fünf Mutter-Teresa-Schwestern kümmern sich dort mit Helfern um knapp 80 Kranke und Behinderte. Am 4. März ermordeten zwei Terroristen die Schwestern Judith, Anselm, Marguerite, Reginette und 16 einheimische Helfer. Sally, die Leiterin der Gemeinschaft, überlebte das Blutbad durch Zufall. Einen indischen Priester entführten die Mörder. Er scheint, so heißt es gelegentlich, noch zu leben, ist aber verschwunden.
Ein Jahr vor dem Anschlag, berichtete Sally auf dem Petersplatz, habe die Ordensobere den fünf Schwestern freigestellt, den Jemen, dieses gefährliche, von Krieg und Bürgerkrieg erschütterte Land, zu verlassen. "Wir entschieden uns zu bleiben. Zu leben oder zu sterben mit den Armen."
Da war es still in der Menge. Und als Franziskus danach über Barmherzigkeit sprach, hatte es einen sehr ernsten Klang. Es waren Schwestern, die sich in die Nachfolge der kleinen Frau aus Skopje begeben hatten. Er wird es gewiss nicht vergessen. Die Nachfolge Jesu, sagte er am Sonntag, "verlangt Radikalität und Mut".