Wer war Immanuel Kant wirklich?
22. April 2017Antje Herzogs einzigartige und hochkreative Graphic Novel über Immanuel Kant vermischt die Grenzen zwischen Wort und Kunst. Sie nimmt Deutschlands berühmtesten Philosophen unter die Lupe - doch weniger seine Philosophie als viel mehr sein Alltag steht im Vordergrund: insbesondere sein vertrautes Verhältnis zu seinem Diener Martin Lampe, aber auch seine Abneigung gegenüber Bier, und seine Vorliebe für Schlaf.
Bekannt ist Immanuel Kant (1724-1804) für seine Moralphilosophie und sein Vertrauen in die menschliche Vernunft. Er war auch ein Mann der Disziplin und Struktur - und hatte mehr als ein paar liebenswerte Macken.
In ihrer neuen Graphic Novel "Lampe und sein Meister Immanuel Kant", bringt die Illustratorin Antje Herzog dem Leser die Person Kant mit kleinen und teilweise sehr witzigen Alltagsanekdoten nah.
DW: Sie schreiben am Anfang Ihres Buches "Lampe und sein Meister Immanuel Kant", dass es Ihnen um Kant als Person geht - und vor allem um sein Verhältnis zu seinem Diener Martin Lampe - und weniger um seine Philosophie. Was genau ist an seiner Person so spannend?
Antje Herzog: Vordergründig denkt man bei Kant an sein philosophisches Werk. Er ist einer der größten Philosophen der Weltgeschichte. Wenn man in seine Biographie eintaucht, fällt einem als erstes auf, dass er ein unglaublicher Routinier war, der alles in seinem Leben minütlich getaktet hat. Das fand ich spannend.
Ich habe mich intensiv mit Kants Leben beschäftigt, als ich mit der Geschichte über seinen Diener Martin Lampe, den er nach 40 Jahren entlassen hatte, konfrontiert wurde. Er musste sich einen Notizzettel schreiben: "Der Name Lampe muss völlig vergessen werden". Ich finde das so großartig und so bildgewaltig, dass dieses Genie sich so einen Notizzettel geschrieben hat, um Lampe zu vergessen. Dann habe ich sofort angefangen zu recherchieren - dank Google Books, die diese ganzen Bücher aus dem 18. Jahrhundert eingescannt haben und wo man nach Wörtern wie "Lampe" suchen kann. So kommt man sehr schnell auf Anekdoten zu Lampe und Immanuel Kant. Diese unglaublich schrulligen charmanten und liebenswürdigen Geschichten haben mich nicht losgelassen und jede einzelne bringt mich zum Schmunzeln.
Sie schreiben, dass Kant der Theoretiker ist und Lampe der Praktiker. Warum eignet sich dieses Verhältnis ausgerechnet für eine Graphic Novel?
Ich fand die Bilder einfach sehr stark. Als ich das damals hörte, habe ich mir gedacht: Oh Gott, der Kant hat einen Notizzettel an eine Lampe geheftet, weil er Lampe vergessen soll. Es ist natürlich so nicht passiert, weil es damals keine richtigen Lampen gab. Aber das Bild war so stark und ich bin ein Fan von Wortspielen. Durch die anderen Anekdoten kamen so viele andere Bilder.
Mich hat gereizt, dass Königsberg [Anm. der Red.: Kant verbrachte fast sein ganzes Leben in Königsberg.] gar nicht mehr existiert wie damals. Der Ort ist in Grund und Boden bekriegt worden. Es gibt das sogenannte Preußen Archiv mit viel Bildmaterial zu Königsberg. Das war für mich ein großer Reiz, die Stadt und das Leben von damals auferstehen zu lassen.
Kant war ein Mensch der Routine und der besonderen Eigenarten, wie Sie darstellen: Er liebte die Wärme, hatte eine feste Schlafroutine, hasste Bier und glaubte, dass Licht zur Entstehung von Wanzen beiträgt. Wenn er heute leben würde, wären Sie mit ihm befreundet oder wäre er zu eigenartig?
Er war damals ein Popstar. Ich glaube, ich würde gar nicht an ihn rankommen. Aber als Person ist er mir sehr sympathisch. Ich glaube nicht, dass ich so skurril wäre, aber ich mag diese preußischen Tugenden: Ordnung, Pünktlichkeit und Struktur. Ich finde auch diese Arbeitsethik, die er an den Tag legt, gut und nachstrebenswert. Ihn als Freund zu haben fände ich toll, aber ich glaube, die Ehre hätte ich nicht.
Er hat sich mit vielen schlauen Menschen umgeben aber nicht unbedingt mit Philosophen. Er wollte einen Querschnitt an seinem Tisch sitzen haben von Ärzten bis hin zu Politikern. Er wollte gar nicht über seine Philosophie mit anderen Leuten reden. Das hat er in Vorlesungen gemacht, aber nicht privat. Da war ihm der andere Austausch wichtiger. Deswegen hatte er ein unglaubliches Allgemeinwissen.
Kann man die Ursprünge seiner Philosophie in seinem Alltag erkennen?
Ja, ich glaube schon, dass er seine Philosophie - besonders seine Moralphilosophie - auch gelebt hat. Er hat sich sehr streng daran gehalten. Seine Philosophie ist sehr strukturiert und diszipliniert und das spiegelt sich in seinem Leben wieder.
Die Schrift im Buch haben Sie per Hand geschrieben, richtig?
Ja genau. Handlettering macht man vor allem bei Graphic Novels. Ich bin Graphikerin und Gestalterin. Für mich ist das rund, wenn eine Handschrift mit einer Zeichnung eine homogene Beziehung eingeht. Ich habe mit zwei Auszeichnungen gearbeitet. Der Kant redet in der Kurrentschrift, der damaligen Handschrift. Und Martin Lampe redet in der Fraktur, der damaligen Leseschrift. Die Kurrentschrift ist so unleserlich heute, es geht nicht, sie im Computer zu setzen. Ich musste da schon selber Hand anlegen und dann war es klar, dass ich Lampe nicht gleichzeitig in einer Fraktur aus dem Computer setze.
Sie arbeiten auch mit einem roten Faden, der in diesem Fall Kants gelber Mantel ist. Erzählen Sie uns von Ihrem ästhetischen Ansatz bei der Graphic Novel.
Ich hatte schon erzählt, dass das Bild von dem Zettel an der Lampe so stark war, obwohl es nicht geklappt hat. Dann habe ich davon Abstand genommen, da die Recherche mich erst mal überwältigt hatte. Ich fand dieses Zitat von ihm:
"Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der besternte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir."
Dadurch habe ich den Einstieg wieder gefunden. Die Sterne leuchten und daraus ergibt sich die Lampe, die die Sterne anzündet. Sterne leuchten gelb, die Lampe ist gelb, Kerzen sind gelb. Für mich war Philosophie immer gelb. Ich weiß nicht, wieso. Dann hat der Kant irgendwann mal gesagt, dass er sich am liebsten so anzieht wie die Blumen. Es gibt die Blume Aurikel, die auch gelb ist. Sie tragen in der Zeit alle Perücken, also wie will man den Kant hervorheben? Ich habe das Gelb benutzt, weil ich vorrangig schwarz-weiß mit Tusche arbeite und Farben nur einsetze, wenn sie für mich einen guten Sinn ergeben.
Die Graphic Novel "Lampe und sein Meister Immanuel Kant" von Antje Herzog, wurde von Edition Büchergilde veröffentlicht. Antje Herzog, Jahrgang 1981, hat auch das Sprichwort-Projekt der Deutsche Welle illustriert.
Das Interview führte Kate Müser.