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Pleitegeier im Sinkflug

Ina Rottscheidt16. September 2004

Es gibt Hoffnung auf Rettung für die strauchelnde Alitalia: Ein Gutteil des Sanierungsplans ist unter Dach und Fach. Die Fluglinie ist aber nicht die einzige in Europa, die in der Krise steckt.

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Italiens Flugflotte vor dem Absturz?Bild: AP


Die Alitalia-Konzernspitze hat sich in der Nacht zum Donnerstag (16.9.) mit dem Bodenpersonal auf den neuen Sanierungsplan für das marode Unternehmen geeinigt. Am Vortag war bereits eine Vereinbarung mit den Piloten-Gewerkschaften getroffen worden. Statt den ursprünglich geplanten 3500 Stellenkürzungen beim Bodenpersonal sollen jetzt demnach nur 2500 Arbeitsplätze abgebaut werden, berichtete das italienische Fernsehen.

Die Mitarbeiter verzichten als Gegenleistung in den kommenden Jahren auf Gehaltserhöhungen. Die Piloten hatten eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach sie künftig für ein niedrigeres Gehalt fast doppelt so viele Stunden fliegen. Jetzt gilt es für die Unternehmensführung, auch die Flugbegleiter zu einer Einigung zu bewegen, um die Alitalia vor dem drohenden Absturz zu bewahren.

Geld knapp

Die Einigung ist Bedingung dafür, dass die italienische Regierung und die EU-Kommission einem Übergangskredit von 400 Millionen Euro zustimmen. Ohne dieses Geld kann Alitalia nach eigenen Angaben die Löhne und Gehälter nur noch bis Ende September zahlen.

Der italienische Premierminister Silvio Berlusconi spricht vor dem europäischen Parlament
Springt die Regierung ein?Bild: AP

Während die liquiden Mittel der Alitalia-Gruppe Ende 2003 noch rund 514 Millionen Euro betragen hatten, waren die Verluste in den ersten drei Monaten von 2004 bereits auf 206 Millionen geklettert. Jeden Tag, so schätzen die Medien derzeit, verliert Alitalia zwischen ein und zwei Millionen Euro. Auch die Reisesaison konnte die Airline nicht für sich zu verbuchen.

Strukturelle Probleme

"Die Probleme der Alitalia sind vor allem hausgemacht", erklärt der Luftfahrtanalyst Nils Machemehl vom Bankhaus MM Warburg. "Die Strukturen sind ineffektiv, Piloten werden überdurchschnittlich bezahlt und es gibt zu viel Personal." Bisher durften die Piloten höchstens acht Stunden fliegen, so sorgte schon ein bisschen Gegenwind auf dem Interkontinentalflug für zusätzliche Lohnkosten. Darüber hinaus starten die meisten dieser Flüge von Mailand, ein Großteil der Besatzung hat jedoch seinen Dienstsitz in Rom und muss erst anreisen - während der Arbeitszeit. Insgesamt flog die Airline auf 90 Prozent ihrer Langstreckenflüge Verluste ein, trotz 90-prozentiger Auslastung.

Doch Alitalia ist kein Einzelfall: Der Pleitegeier kreist über vielen nationalen Airlines in Europa. Mit Swissair ging im Oktober 2001 die erste europäische Gesellschaft in die Knie. Mit ihrem fast 50-prozentigen Anteil löste sie noch im selben Monat eine Kettenreaktion bei der belgischen Fluggesellschaft Sabena aus. Und auch der Swissair-Tochter LTU, der irischen Fluggesellschaft Aer Lingus, Air Portugal und der polnische LOT drohte in den vergangenen Jahren die Pleite.

Nicht vorbereitet auf externe Probleme


"Da treffen ineffiziente Strukturen auf externe Probleme", erklärt Machmehl. Zu letzteren zählten Terrorangst, Konjunkturschwäche und der Preiskampf mit den Billigfliegern. "Und nachdem sie SARS im vergangenen Jahr überwunden haben, kommt jetzt die nächste Krise in Form von Ölpreisen daher", fügt der Analyst hinzu. Der Treibstoff macht rund ein Achtel der Kosten von Fluggesellschaften aus: So hatte die Internationale Flug-Transport-Vereinigung (IATA) der Branche für 2004 ursprünglich Gewinne von rund drei Milliarden Dollar prognostiziert - unter der Voraussetzung eines Jahresdurchschnittspreises von 30 Dollar je Barrel Öl. Schon bei einem Anstieg auf 33 Dollar beginne die Verlustzone, hieß es bei der IATA. "Wenn solche Probleme dann auf Ineffizienz und mangelnde Flexibilität im Inneren der Unternehmen treffen, geraten diese schnell in die Krise", so Machmehl.

Am Boden - Swissair und Sabena geben auf
Leidensgefährten: Swissair und SabenaBild: AP
Die Förderanlagen fuer Rohöl der stattlichen Ölgesellschaft Petroleos de Venezuela S.A. (PDVSA) in Cabimas, Venezuela
Neue Hiobsbotschaften vom ÖlmarktBild: AP

Seiner Meinung nach geht dies oftmals auf den großen staatlichen Einfluss zurück: Mit der Gewissheit, dass die Regierung in der Krise einspringt, tun sich offenbar Airlines schwer bei der Anpassung an Marktmechanismen, nicht nur in Europa: So flossen in den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mehrere Milliarden Dollar in die Branche, ohne dass dies zu spürbaren Verbesserungen geführt hätte: Anfang September 2004 beantragte US Airways das Insolvenzverfahren - zum zweiten Mal innerhalb von 18 Monaten.

"Alitalia verschwindet nicht"

Auch bei Alitalia hat der Staat zu 62 Prozent seine Finger im Spiel. Machmehl vermutet: "Das ist ein großer Arbeitgeber, viele Arbeitsplätze sind gefährdet und im kommenden Frühjahr stehen Regionalwahlen an. In solchen Fällen werden Entscheidungen nicht nur unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Alitalia verschwindet."