Politischer Umbruch in Irland?
9. Februar 2020Einst galt Sinn Fein als politischer Arm der Untergrundorganisation IRA, die in Nordirland mit Waffengewalt und Attentaten für eine Vereinigung der irischen Insel kämpfte. Nun wird die linksgerichtete Sinn Fein zu einem echten Mitspieler in der Politik der Republik Irland. Erste Hochrechnungen bestätigten die Ergebnisse einer Nachwahlbefragung, wonach sich die linksgerichtete Partei Sinn Fein neben den beiden bürgerlichen Parteien Fine Gael und Fianna Fail als führende politische Kraft in Irland etablieren konnte. Alle drei Parteien lagen demnach bei rund 22 Prozent.
Wie verhält sich Fianna Fail?
Bislang hatten sich in der Geschichte des Landes seit der vollständigen Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich stets Fine Gael und Fianna Fail an der Macht abgewechselt. Ob Premierminister Leo Varadkar nun im Amt bleiben kann, gilt als zweifelhaft. Er führte bislang mit Fine Gael eine Minderheitsregierung an, die von Fianna Fail mit dem Oppositionschef Micheál Martin an der Spitze toleriert wird. Doch ob diese Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann, ist derzeit völlig ungewiss.
Eine Koalition zwischen seiner Mitte-Rechts-Partei Fine Gael und den linken Nationalisten Sinn Fein sei keine Option, gab Varadkar bereits am Samstag bekannt. Die Politik der Parteien sei "nicht kompatibel". "Aber wir sind bereit, mit anderen Parteien zu sprechen", so Varadkar vor Journalisten in Dublin. Der Chef der rivalisierenden Mitte-Rechts-Partei Fianna Fail lehnte es dem Vernehmen nach dagegen ab, eine Koalition mit Sinn Fein auszuschließen - obwohl Fianna Fail dies im Vorfeld der Wahl ein Zusammengehen bisher ausgeschlossen hatte.
Sinn Fein will Gespräche mit kleineren Parteien
Die Rolle der Königsmacher in Sachen Regierungsbildung in Irland könnte möglicherweise den Grünen zufallen. Die kamen der Befragung zufolge auf acht Prozent der Stimmen. Immerhin gut ein Zehntel der Wähler stimmte zudem für unabhängige Kandidaten.
Der aktuelle Erfolg kommt auch für Sinn Fein überraschend: Die Partei hatte insgesamt nur 42 Kandidaten für das Parlament mit 160 Abgeordneten aufgestellt. Trotzdem galt McDonald noch vor der Auszählung der Stimmen als strahlende Siegerin. Sie kündigte an, mit den kleineren Parteien Gespräche über eine mögliche Regierungsbildung aufzunehmen. "Ich möchte, dass wir idealerweise eine Regierung ohne Fianna Fail oder Fine Gael haben", so McDonald.
Chancen auf das Amt der Regierungschefin hat die Sinn-Fein-Präsidentin Mary Lou McDonald allerdings kaum. Die 50-Jährige, die als Mitglied des Europäischen Parlaments internationale Erfahrung gesammelt hatte, ist seit zwei Jahren als Nachfolgerin von Gerry Adams Chefin der Partei.
Brexit kein Thema bei der Irland-Wahl
Sinn Fein hatte bei der vergangenen Wahl 2016 lediglich rund 14 Prozent der Stimmen erreicht. Sie fordert eine Wiedervereinigung des britischen Landesteils Nordirland mit der zur Europäischen Union zählenden Republik Irland. Als einzige Partei tritt sie in beiden Teilen Irlands an.
Punkten konnte Sinn Fein vor allem mit Forderungen in der Sozialpolitik. Der EU-Austritt Großbritanniens spielte hingegen so gut wie keine prominente Rolle. Nur ein Prozent der Wähler gab bei der Nachwahlbefragung an, der Brexit sei das bedeutendste Thema gewesen, wie der irische Rundfunksender RTÉ berichtete. Am wichtigsten waren den Wählern demnach die Themen Gesundheit, Wohnen und Rente.
Sollte es wider Erwarten doch zu einer Regierungsbeteiligung von Sinn Fein kommen, dürfte die Forderung nach einem baldigen Referendum über die irische Wiedervereinigung in Dublin zur offiziellen Regierungslinie werden. Das würde auch die Brüsseler Verhandlungen mit Großbritannien über die künftigen Beziehungen nach dem Ende der Brexit-Übergangszeit zum Jahresende betreffen. Am vorteilhaftesten für Sinn Fein wäre es aber, wenn eine Regierungsbildung scheitern würde und es eine Neuwahl gäbe. Ein zweites Mal würde die Partei wohl kaum zu wenige Kandidaten aufstellen.
cw/sam (ap, afp, dpa, rtr)