"Wir werden alle Punkte umsetzen"
13. Mai 2015Wie oft der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und die deutsche Bundeskanzlerin sich in den vergangenen Monaten getroffen haben, kann aus dem Stegreif kein Sprecher der Bundesregierung sagen. Sie sahen sich bei Staatsbesuchen, im "Normandie-Format" mit Frankreich und Russland, bei etlichen Krisengesprächen am Rand internationaler Gipfeltreffen, bei Geberkonferenzen. Auch an diesem Mittwoch (13.05.2015) ist der ukrainische Präsident wieder in Berlin und wieder geht es vor allem um eines: um die Umsetzung des Minsker Abkommens, der Vereinbarungen zu einer Waffenruhe in der Ukraine. "Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen", sagt Angela Merkel diplomatisch. Denn nach wie vor gehen im Osten der Ukraine die Kampfhandlungen weiter.
"Wir werden alle 13 Punkte des Abkommens umsetzen", versprach Poroschenko. "Es gibt keine Alternative zum Minsker Prozess." Gleichzeitig betonte er, wie wichtig auch die wirtschaftlichen Hilfen der europäischen Staaten für die Ukraine seien. Deutschland nannte er einen "großen Freund und verlässlichen Partner" für die Ukraine.
Seit der Vereinbarung von Minsk hat die Waffenruhe in der Ostukraine noch keinen Tag gehalten. Es gibt Befürchtungen, dass die Kämpfe noch an Intensität zunehmen könnten. Gleichzeitig hat in den vergangenen Tagen eine umtriebige Krisendiplomatie eingesetzt. Nach Merkels Besuch in Moskau am Wochenende ist nun der amerikanische Außenminister John Kerry in die russische Hauptstadt gereist. Parallel zu Poroschenkos Berlin-Visite wurde der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk in Paris empfangen.
Kiews Verpflichtung
Die deutsche Seite dürfte den Besuch Poroschenkos auch dazu nutzen, die Ukraine an ihren Teil der Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen zu erinnern. Die Verträge enthalten zum Teil schmerzhafte Zugeständnisse, etwa einen Autonomiestatus für die Separatistengebiete. Berlin befürchtet offenbar, dass Kiew nicht genug Elan dabei zeigen könnte, diese Versprechen einzulösen. Deutlicher als die Bundeskanzlerin sagt das der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, in einem Interview. "Leider sind in den letzten Wochen einige Zweifel aufgekommen, ob die Ukraine auch hundertprozentig bereit ist, alle Punkte umzusetzen."
Allerdings haben weder die Kanzlerin noch der Russlandbeauftragte in den vergangenen Tagen Zweifel daran gelassen, dass sie die Hauptverantwortung unverändert bei Russland sehen. Erler warf Moskau vor, dass "die militärische Unterstützung und die Ausrüstung der Rebellen mit modernen Waffen weitergehen".
Zu diesem Ergebnis kommt auch ein am Montag veröffentlichter Bericht des ermordeten russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Nemzow hatte vor seinem Tod versucht nachzuweisen, dass russische Soldaten in den abtrünnigen Gebieten Donezk und Luhansk im Einsatz sind - ein Vorwurf, den der Westen Moskau schon lange macht. "Im Ergebnis kommt er zu demselben Schluss, den die Bundesregierung und ihre Partner auch ziehen", so Regierungssprecher Steffen Seibert.
"Verbrecherische Annexion"
Die Bundeskanzlerin hatte einen Besuch zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs am Sonntag genutzt, um Russland erneut an seine Verantwortung für den Frieden zu erinnern. Für Irritationen hatte dabei allerdings gesorgt, dass sie die russische Annexion der Krim nicht nur wie bisher als "völkerrechtswidrig", sondern auch als "verbrecherisch" bezeichnete. Die Formulierung "verbrecherisch" wird in Deutschland üblicherweise für schwere Kriegsverbrechen wie die Feldzüge der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verwendet.
Einiges spricht dafür, dass Merkel sich schlicht versprochen hat. Videoaufnahmen zeigen, dass sie an dieser Stelle zögert. Ihr Sprecher weigerte sich am Mittwoch erneut, zu Merkels Rede Stellung zu beziehen und vermied es sorgfältig, das Wort "verbrecherisch" in irgendeiner Weise in den Mund zu nehmen. "Die Haltung zur Annexion der Krim ist eine unveränderte", betonte er stattdessen. Auch die russische Seite hat sich offenbar entschieden, Merkels ungewöhnlicher Wortwahl keine besondere Bedeutung beizumessen. In der offiziellen Moskauer Transkription der Pressekonferenz fehlt das Wort.