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Pragmatismus am Holocaust-Mahnmal

14. November 2003

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin wird mit Beteiligung der deutschen Firma Degussa weiter gebaut. Damit endet ein wochenlanger Disput innerhalb des Stifter-Kuratoriums.

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Besser mit Schutzanstrich: Der Bau der Gedenkstätte geht weiterBild: AP

Offenbar hatten die Beteiligten während der nun über zehn Jahre währenden Planungs- und Ausschreibungsphase übersehen, wem sie die Aufträge erteilt hatten. Anders war der erneute Streit um das an Auseinandersetzungen nicht arme Mahnmal nicht zu erklären. Am Ende siegten nun Vernunft und Pragmatismus.

Das Kuratorium der Stiftung "Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" entschied darum am Donnerstag (13.11.2003), die Chemiefirma Degussa trotz ihrer Rolle im Nationalsozialismus nicht vom Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin auszuschließen. Um den Gefühlen der Opfer gerecht zu werden, soll aber auf dem Mahnmalgelände an die Beteiligung dieses und anderer Unternehmen am Holocaust erinnert werden, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der Vorsitzende des Kuratoriums. Er nannte dabei auch den Chemiekonzern Bayer, der zur NS-Zeit zur I.G. Farben gehörte.

Lange und ernsthafte Diskussionen

Das 22-köpfige Gremium hatte sich nach drei Stunden mehrheitlich entschieden, den Bau unter den bisherigen Bedingungen mit allen bislang beauftragten Firmen fortzusetzen, teilte Thierse nach der Sitzung mit. Das Denkmal dürfe nicht Teile der Gesellschaft ausschließen. Außerdem wäre der finanzielle Rahmen gesprengt worden, wenn das Denkmal ohne Degussa-Beteiligung hätte errichtet werden sollen. "Die heutige Degussa ist eine andere Firma als damals, das darf man nicht vermischen", sagte der Bundestagspräsident als Kuratoriumsvorsitzender.

Das Gift einer ehemaligen Beteiligungsgesellschaft

Die Degussa (Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt) geriet wegen einer Beteiligung an der Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung) mit 42,5 Prozent in die heutigen Schlagzeilen. Denn das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B der Degesch erwies sich aufgrund seines Blausäuregehaltes als so tödlich, das die Nazis damit Menschen industriell töten konnten. Das Mittel wurde sogar nach dem Krieg sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik weiter eingesetzt, und in das Ausland weiter unter dem Namen Zyklon exportiert. Die Degussa besaß zudem auch die nötige Technik, um das Zahngold der KZ-Opfer in Reinform zu gewinnen.

Der Wandel nach 1945

Die Nachfolgerin Detia Degesch produziert weiterhin Schädlingsbekämpfungsmittel, aus der Degussa wurde ein Spezialchemiekonzern, der mit der früheren Degussa wenig gemein hat. Zudem gehörte die Degussa zu den Gründungsmitgliedern der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, die derzeit Gelder an die ehemaligen Zwangsarbeiter des Dritten Reiches auszahlt. Gerade weil viele Nachfolgeunternehmen von Betrieben, die von der Zwangswirtschaft profitierten, nicht oder ungern in den Fonds der Stiftung einzahlten, konnte die Degussa im Streit um das Holocaust-Denkmal von ihrer Vorbildfunktion profitieren.

Mit der Entscheidung wird die Degussa nun weiter das Anti-Graffiti-Mittel für die 2700 Betonstelen und Betonverflüssiger liefern.

Überwiegend positives Echo

Die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals, Lea Rosh, zeigte sich nach der Entscheidung erleichtert und besorgt zugleich. Es sei wichtig, dass das Mahnmal gebaut werde, sagte sie und fügte hinzu: "Für mich ist die Vorstellung fürchterlich, dass jüdische Menschen und Nachkommen von Holocaust-Opfern nicht zu diesem Denkmal kommen. Ich hoffe, dass sich das verwächst." Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Alexander Brenner, der ebenso wie Rosh gegen den Weiterbau mit Degussa war, sagte: "Es wäre absurd, wenn man von der Beteiligung der Degussa den Bau abhängig gemacht hätte."

"Dann müsste man auch die Regierung ausschließen"

Israels früherer Botschafter in Berlin, Avi Primor, bekräftigte seine pragmatische Position. Wenn Degussa ausgeschlossen würde, dann hätte auch die Bundesregierung als Nachfolger der NS-Regierung ausgeschlossen werden müssen, sagte Primor der ARD. Dann allerdings wäre das Mahnmal schlicht nicht machbar gewesen.

Neben dem Architekten der Gedenkstätte, Peter Eisenman, begrüßte am Freitag (14.11.) auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, die Entscheidung als einen "weisen" Beschluss.

Das Mahnmal soll bis 2005 fertig gestellt werden. Mitte August 2003 waren die ersten Stelen errichtet worden. (dk)