Es regnet nicht, es gießt
20. Juli 2010Der Weg in den Regenwald führt über's Wasser. Und es gibt viel Wasser in diesem Teil Brasiliens, in Amazonien. Ein Fünftel der weltweiten Süßwasservorräte, heißt es. Wer einmal da war, hält das noch für untertrieben. Wir fahren flussabwärts auf dem Rio Xingú, einem der Nebenarme des Amazonas. An manchen Stellen ist der Xingú so breit wie ein See.
Die Fahrt geht von Vitória nach Porto de Moz. Gut dreieinhalb Stunden brauchen wir für die Strecke mit dem Schnellboot. Der Wind hat das Wasser aufgerauht. Rhythmisch schlägt das Boot gegen die Wellen. Dazu der Fahrtwind – nicht gerade eine besinnliche Fahrt. Dafür entschädigt die atemberaubend schöne Flusslandschaft. Schließlich erreichen wir Porto de Moz, einen alten Holzfällerstützpunkt, der seine besten Tage hinter sich hat. In den beiden Sägewerken dieser Kleinstadt gibt es nicht mehr viel zu tun. Früher kamen hier täglich mehrere Holztransporte an. Heutzutage sieht man sie sehr selten.
Es regnet nicht, es gießt
Von Porto de Moz aus wollen wir ins Schutzgebiet „Verde para Sempre“ – unser eigentliches Ziel. Ein Sammlerreservat, das 2004 auf Initiative der Menschen dieser Region eingerichtet wurde. Wir wollen uns ansehen, wie Regenwaldschutz aussehen kann, wenn den Bewohnern eine nachhaltige Nutzung des Waldes ermöglicht wird. Wir übernachten in einem kleinen Hotel, wollen gleich am nächsten Morgen früh um sechs Uhr ins Schutzgebiet fahren. Doch das Wetter macht uns zunächst einen Strich durch die Rechnung. In der Nacht beginnt ein heftiges Gewitter, und bis in den Vormittag regnet es in Strömen. Das heißt, es regnet nicht, es gießt... Der Regen ist so stark, dass an eine Fahrt in den nur spärlich geschützten Booten nicht zu denken ist. Uns bleibt nichts anderes übrig, als einige Stunden zu warten. Das nimmt uns wertvolle Drehzeit, denn gegen 18 Uhr dämmert es bereits in dieser Region. Außerdem brauchen wir für die einfache Strecke in die Gemeinde Arimum, wo wir drehen wollen, gut eineinhalb Stunden. Erst am späten Vormittag lässt der Regen doch nach und wir können los. Hindernisse gibt es viele in den kommenden drei Tagen, aber am Ende haben wir doch immer alles im Kasten, was wir für unsere Reportage brauchen.
Die Gastfreundschaft der Menschen
Nach jedem Dreh in einem Dorf oder einer Gemeinde erwartet uns ein Essen. In Juçara hat Inácia Pinheiro für uns gekocht. Ihr Mann Benedito war extra zum Fischen rausgefahren und hat einen Tucunaré gefangen, den sie hier gerne essen. Sie ist 65 Jahre alt, ihr Mann ist 60 – sie beide wurden hier im Dorf geboren. Ob sie denn auch Kinder hätten, möchte ich von ihnen wissen. Nein, sagt sie, Kinder hätten sie keine. Und noch während ich darüber nachdenke, was das für sie bedeutet in einer Gegend, in der Kinder so etwas wie eine Altersversicherung sind, setzt sie nach – jedenfalls keine gemeinsamen. Aus einer ersten Ehe hätte sie sieben und er drei Kinder. Ich bin irgendwie beruhigt. Ist sie zufrieden mit dem Leben hier im Dorf, will ich wissen. Oh ja, sagt sie, niemals würde sie in der Stadt leben wollen. Warum auch? Hier sei sie zuhause, sie wisse, wo man guten Fisch fangen kann, und überhaupt: in der Stadt bräuchte man immerzu Geld, müsse alles kaufen und könne sich nicht selber versorgen. Aber das Leben ist doch auch gefährlich, wende ich ein, und erwähne die Krokodile im Fluss. Ach was, winkt sie ab, die seien keine Gefahr, denn die hielten sich von den Menschen fern. Früher wurden sie wegen ihrer Haut getötet. Aber seit dies ein Schutzgebiet sei, würden sie in Ruhe gelassen.
Auf dem Praça do Amor, dem „Platz der Liebe“, essen wir dann alle gemeinsam. Den Namen trägt er deshalb, weil sich hier immer die jungen Pärchen zu ihren ersten Verabredungen treffen, erzählen mir die Dorfbewohner, und lachen dabei. Das Essen ist köstlich: Fisch, Reis, Bohnen und Farinha, eine Art Maniokmehl, das bei keiner Mahlzeit fehlen darf. Es entschädigt für manche Strapaze, die wir in den Drehtagen am Rio Xingú auf uns nehmen mussten.
Autor: Christian Jaburg
Redaktion: Klaus Esterluß