Russland: Repressionen gegen Journalisten
2. Mai 2021Auch in Russland wird an diesem Montag der internationale Tags der Pressefreiheit begangen - doch viel feiern gibt es nicht. Im Gegenteil: Medien und Journalisten sind derzeit von bisher beispiellosen Repressionen betroffen. Sie werden als ausländische Agenten gebrandmarkt, inhaftiert und unter Hausarrest gestellt.
Ausgeübt wird der massive Druck auf Medienschaffende vor dem Hintergrund sich verschlechternder Beziehungen zum Westen, dem Tätigkeitsverbot für die Unterstützer-Organisationen des im Straflager inhaftierten Kreml-Gegners Alexej Nawalny und der Vorbereitung der Wahlen zur Staatsduma, die für den 19. September angesetzt sind.
Womit "ausländische Agenten" zu kämpfen haben
"Wir wissen wirklich nicht, wie es weitergehen soll", schreibt Iwan Kolpakow, Chefredakteur von "Meduza", eines der größten unabhängigen russischsprachigen Onlineportals, an seine Leser. Am 23. April wurde es vom russischen Justizministerium auf die Liste der "ausländischen Agenten" gesetzt.
Nach russischem Recht kann ein Medienunternehmen als "ausländischer Agent" eingestuft werden, wenn es Gelder oder andere Vermögenswerte aus dem Ausland erhält. Das Justizministerium erklärte gegenüber dem russischen TV-Sender "Doschd", "Meduza" sei "auf Grundlage von Dokumenten, die von staatlichen Behörden vorgelegt wurden", auf die Liste gesetzt worden. Um welche ausländischen Finanzierungsquellen es sich handelt, dazu machen die Behörden aber keine Angaben.
Jetzt muss das Portal "Meduza", das in Lettland registriert ist, seine Leser ausdrücklich darauf hinweisen, dass es ein "ausländischer Agent" ist. Zudem muss es, wie alle "ausländischen Agenten", dem Justizministerium über seine Einnahmen und Ausgaben Rechenschaft ablegen. Inzwischen verliert "Meduza" Werbekunden, weswegen die Löhne der Mitarbeiter halbiert werden mussten. Nun hofft das Massenmedium auf Spenden der Leser, obwohl "Meduza" früher solche Finanzierungsmodelle für Medien grundsätzlich abgelehnt hatte.
Medien in Russland immer stärker unter Druck
Auf der Liste der "ausländischen Agenten" stehen inzwischen 19 Medienunternehmen und Einzelpersonen. Ende 2017 wurden die vom US-Kongress finanzierten Sender "Voice of America", "Radio Liberty", "Current Time" und einige ihrer regionalen Projekte zu "ausländischen Agenten" erklärt. Auf der Liste stehen aber auch einzelne Journalisten unabhängiger Medien, wie Denis Kamaljagin, Sergej Markelow und Ljudmila Sawizkaja.
Journalisten werden in Russland auch mit weiteren Methoden unter Druck gesetzt. Anfang April wurde der Moskauer Journalist Roman Anin aufgrund seiner Recherchen gegen den Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin, Opfer einer Durchsuchung durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Der Chefredakteur des Nachrichtenportals "Mediazona", Sergej Smirnow, wurde für einen scherzhaften Tweet, in dem das Datum einer nicht genehmigten Kundgebung angegeben war, für 15 Tage ins Gefängnis gesperrt. Und in den letzten Tagen bekamen Journalisten, die am 21. April bei einer nicht genehmigten Aktion zur Unterstützung des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny im Einsatz waren, Besuch von der Polizei.
Wegen jener Proteste stehen nun vier Redakteure der Studentenzeitschrift "DOXA" unter Hausarrest. Die russischen Behörden werfen ihnen vor, Minderjährige in einer Videobotschaft zu der nicht genehmigten Aktion eingeladen zu haben. "Das Video war nur der Anlass, uns unter Druck zu setzen", meint Nikita Kutschinskij, Redakteur von "DOXA". "Höchstwahrscheinlich sind wir ins Visier der Behörden geraten, weil wir uns als eines weniger Medien mit studentischen Themen befassen: mit dem Druck auf Studenten, illegalen Ausschlüssen von Hochschulen und Entlassungen von Dozenten."
Beispielloses Vorgehen gegen die Meinungsfreiheit
Galina Arapowa, Leiterin des 1996 gegründeten russischen "Zentrums zum Schutz der Rechte von Medien", kann sich nicht erinnern, jemals eine derart massive Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Russland erlebt zu haben. "Es gibt harte Einschränkungen bei der Verbreitung von Online-Inhalten. Es gibt Sperrungen und eine strafrechtliche Haftung, zu der Journalisten jetzt viel häufiger herangezogen werden", so Arapowa. Die der Verfahren gegen Journalisten wegen ihrer Berichterstattung über Protestaktionen sprenge jeden Rahmen. In den letzten zehn Jahren hätten sich die Mediengesetze so stark verändert, dass selbst Journalisten, die nicht über Politik berichten, ihre Arbeit inzwischen für gefährlich hielten.
Auch der russische Politologe Konstantin Kalatschjow findet, dass es ein solches Vorgehen gegen die Meinungsfreiheit in der jüngeren Geschichte Russlands noch nicht gegeben hat. Er ist überzeugt, dass die Verfolgung von Journalisten und Oppositionellen größtenteils auf die im September anstehenden Parlamentswahlen zurückzuführen ist.
Kalatschjow zufolge wollen die Behörden massive oppositionelle Kundgebungen verhindern, wie es sie in Moskau gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen im Mai 2012 gegeben hatte. Damals war es zu Festnahmen und Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Sollte im September die regierende Partei "Einiges Russland" zum Wahlsieger erklärt werden, so Kalatschjow, könnte es erneut zu Protesten kommen. "Die Behörden versuchen, dies schon jetzt zu verhindern", so der Experte. Bis dahin könnten potentielle Anführer und Organisatoren von Protesten schon hinter Gittern sitzen und die unabhängigen Medien vernichtet sein.
Weiter arbeiten und berichten
Gleichzeitig wird es immer schwieriger, Journalisten vor Gericht zu verteidigen. "Viele Verfahren sind politisch motiviert, daher sprechen Richter mit gesenktem Blick Urteile, zu denen sie offenbar gezwungen werden", sagt Galina Arapowa vom "Zentrum zum Schutz der Rechte von Medien". Ihr zufolge bleibt dann nur noch der Weg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
DOXA-Redakteur Nikita Kutschinskij ist überzeugt, dass sich unabhängige Medien am besten gegen staatliche Repressionen verteidigen können, indem sie weiterarbeiten und über alles berichten, was ihnen passiert. "Je mehr Öffentlichkeit entsteht, desto geringer wird der Druck", glaubt er. Weniger optimistisch ist Konstantin Kalatschjow. Er meint, schnelle Veränderungen werde es in Russland nur bei einer Revolution geben. Zu ihr könnte es laut Kalatschjow kommen, sollte die Wirtschaftskrise sich zu einer sozialen und damit zu einer politischen Krise auswachsen.
Doch es gibt auch Hoffnung, dass in Russland noch vorher ein Tauwetter einsetzen könnte. Dieses könnte ein positiver Ausgang des Treffens zwischen den Präsidenten Russlands und der USA bringen, das womöglich für den Sommer geplant ist. Die Lage derjenigen, die von den russischen Behörden im Lande als "fünfte Kolonne" betrachtet werden, hänge in vielerlei Hinsicht von den Beziehungen Russlands zur Außenwelt ab, erläutert Kalatschew. "Vielleicht ändert Putins Treffen mit Biden etwas daran, wie sich Russland gegenüber dem Rest der Welt positioniert", so der Experte.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk