Winter des Protests
18. Januar 2012Auslöser der jüngsten Protestwelle in Bukarest und anderen Großstädten Rumäniens war eine heftige Debatte um die Gesundheitsreform. Zwar zweifelt in Rumänien kaum noch jemand daran, dass nur eine grundlegende Reform das marode und korrupte Gesundheitswesen retten kann. Eingefordert wird diese Reform nicht zuletzt auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF), auf dessen Kredite Rumänien wegen seiner angespannten finanziellen Lage nach wie vor angewiesen ist.
Gegner der angekündigten Änderungen befürchteten allerdings, dass das Gesundheitssystem weiterhin in korruptionsdurchsetzten Strukturen kontrolliert werden könnte. Der Streit eskalierte, als Präsident Traian Basescu einen erfolgreichen Arzt öffentlich verbal angriff. Der populäre Mediziner palästinensischer Herkunft, Raed Arafat, hat in Rumänien studiert und anschließend einen sehr effizienten landesweiten Rettungsdienst aufgebaut. Der parteilose Arafat hatte vor einer möglichen Zerschlagung des Rettungsdienstes durch die neue Reform gewarnt und war demonstrativ von seinem Amt als Unterstaatssekretär zurückgetreten.
Protestwelle gegen die politische Klasse
Tatsächlich sah der Gesetzentwurf einen freien Markt für Rettungsdienste und medizinische Notaufnahmen vor. Viele Rumänen befürchten allerdings die Ausweitung der bestehenden Zwei-Klassen-Gesellschaft im korrupten Gesundheitswesen und haben Angst davor, dass sich künftige private Rettungsdienste nur noch um die "reichen" Patienten kümmern würden. Der Rücktritt Arafats war nicht nur für Kritiker dieser Reform der sprichwörtliche Funken für Demonstrationen im ganzen Land. Und obwohl der Gesetzentwurf auf Geheiß des Präsidenten zurückgezogen wurde, weiteten sich die Protestaktionen aus.
Inzwischen ist aus den "Pro-Arafat" - Demonstrationen eine Protestwelle der Unzufriedenen geworden - gegen den Präsidenten und den harten Sparkurs der Regierung unter Ministerpräsident Emil Boc, aber auch insgesamt gegen die politische Klasse, die für viele Rumänen als unfähig und korrupt gilt.
Die Anfangs friedlichen Demonstrationen mit einigen tausend Teilnehmern eskalierten schnell, als sich gut organisierte und gewaltbereite Fußball-Hooligans in Bukarest unter die Menge mischten und sich mit Polizei und Ordnungskräften heftige Straßenschlachten lieferten. Läden wurden geplündert und in Brand gesetzt, mehrere Menschen wurden verletzt. Allein am Wochenende gab es in der rumänischen Hauptstadt mehr als 70 Verletzte, darunter auch Polizisten und Journalisten.
Wem ist noch zu trauen?
Der politische Protest in dieser Form ist eher ungewöhnlich in Rumänien. Nach der blutigen politischen Wende 1989/1990 hatten alle Regierungen in Bukarest versucht, die oft schmerzhaften Folgen der nötigen Reformen abzufedern. Das Ergebnis war eine relative Ruhe in der Gesellschaft, aber auch eine Verzögerung des europäischen Entwicklungsprozesses.
Heute, fünf Jahre nach seinem EU-Beitritt, wird Rumänien nicht nur von den Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise erschüttert. Die immer noch weit verbreitete Korruption und die Unfähigkeit der Justiz, dagegen vorzugehen, sowie die Zerstrittenheit der politischen Parteien haben den Frust vieler Bürger verstärkt. Hinzu kommt, dass viele Rumänen ihrem Präsidenten eine zunehmend autoritäre Amtsführung vorwerfen.
Vor diesem Hintergrund war es klar, dass sich Politiker der sozial-liberalen Opposition der spontanen Protestbewegung anschließen würden. Sie fordern schon lange den Rücktritt Basescus und des gesamten Kabinetts. Doch auch die Glaubwürdigkeit der Oppositionspolitiker ist in den Reihen der Demonstranten gering - die Protestrufe richten sich auch gegen sie.
Regierungschef Emil Boc hat inzwischen einen neuen Anlauf für die Gesundheitsreform angekündigt und die Privatisierung der Rettungsdienste kategorisch ausgeschlossen. Inzwischen ist Raed Arafat in sein Amt zurückgekehrt, der von ihm aufgebaute Dienst soll unverändert weiter bestehen bleiben. Boc verurteilte jegliche Form der Gewalt und appellierte an alle Beteiligten, die Krise im Dialog zu lösen. Doch dieser Aufruf kommt spät. Für die nächsten Tage sind weitere Demonstrationen angesagt.
Autor: Robert Schwartz
Redaktion: Zoran Arbutina