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Musik

Russische Rockmusiker gegen den Krieg

30. Mai 2022

Juri Schewtschuk von DDT, Zemfira und Boris Grebenshikov von Aquarium: Russische Rock-Größen beziehen Stellung gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Fraglich ist, ob ihre Stimmen Gehör finden.

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Musiker Juri Schewtschuk vor einem Mikrofon sitzend und die linke Hand emporhebend.
Juri Schewtschuk ist nicht der einzige russische Musik-Star, der Mut beweistBild: Alexander Ryumin/dpa/TASS/picture alliance

Am 18. Mai spielte die russische Rockband DDT ein Konzert in der ausverkauften Arena der westlich des Urals gelegenen Stadt Ufa. Knapp zehntausend Fans waren da; sie hatten das Konzert heiß ersehnt: DDT ist eine russische Rocklegende, der Frontmann und Songwriter Juri Schewtschuk einer der prominentesten Rockstars des Landes.

In Ufa ist Schewtschuk besonders beliebt: Hier ist er aufgewachsen, hier schrieb er seine ersten Songs, und hier wurde 1981 DDT gegründet - eine Band, deren Sound für viele die Perestroika-Zeit eingeläutet hat und fortan begleitete.

Musiker Juri Schewtschuk, links an der Gitarre, und zwei weitere Musiker der Gruppe DDT mit ihren Instrumenten.
DDT-Musiker bei einem Konzert in Berlin, 2004Bild: Seeliger/IMAGO

Mitten im Konzert trat Schewtschuk vors Publikum und sagte im Wortlaut: "In der Ukraine werden Menschen umgebracht, auch unsere Jungs sterben da. Wofür? Was sind die Ziele, Freunde? Schon wieder kommt die Jugend um - Russlands Jugend und die der Ukraine. Es sterben auch alte Menschen, Frauen und Kinder. Wofür? Für irgendwelche napoleonischen Pläne des nächsten Cäsars? Ist es das?" Applaus begleitete seine Rede.

Juri Schewtschuks Mut wird bestraft

"Aber die Heimat ist nicht der Arsch des Präsidenten, den man ständig lecken und küssen muss", fuhr Schewtschuk fort. "Die Heimat - das ist für mich die arme Oma am Bahnhof, die Kartoffeln verkauft. Und jetzt singe ich für euch ein Lied, das mir besonders am Herzen liegt: 'Die Liebe'." Schewtschuk stimmte seinen Hit aus dem Jahre 1996 an, das Publikum jubelte. Einige berichteten in den Sozialen Medien von "Scheiß Krieg!"-Rufen und Sprech-Chören im Saal. Entsprechende Videos lassen sich jedoch nicht mehr finden.

Nach dem Konzert wurde Schewtschuk von der Polizei aufgesucht. Es wurde ein Protokoll aufgesetzt, der Vorwurf läuft wohl auf "Diskreditierung von Russlands Streitkräften" hinaus. Der Fall müsste demnächst in Sankt Peterburg, wo der Musiker lebt, vor Gericht kommen. Dass der Fall bereits registriert ist, berichtet beispielsweise die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Schewtschuk selbst kommentierte das Geschehen nur knapp: "Ja, ich habe da wohl einiges gelabert."

Russischer Rock gegen den Krieg

Juri Schewtschuk ist ein bekennender und bekannter Pazifist zugleich: "Schieß nicht!" hieß schon eines seiner ersten Lieder, das bis heute bei den Fans gut ankommt. Er schrieb es nach einem Gespräch mit Afghanistan-Rückkehrern, mit denen er einst in einer Schulklasse gewesen war.

Schewtschuk blieb der Sache treu und protestierte konsequent gegen die zahlreichen Kriege der nächsten Jahrzehnte: So spielte er mit seinen DDT-Musikern ein Konzert in Belgrad, nachdem die Stadt 1999 von NATO-Truppen bombardiert worden war und er verurteilte die Kriege Russlands in Tschetschenien, die 1994 begannen. Gleich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine Anfang 2022 sagte der Musiker sichtlich enttäuscht in einem Interview: "Wir haben als DDT schon die ganze Zeit für den Frieden gesungen. Aber das hat wohl nichts gebracht: Sie sehen selbst, was passiert ist. Wir sind alle nur traurig und stehen unter Schock."

Sängerin Zemfira: Mariupol Calling

Die Stimme Juri Schewtschuks ist nicht die einzige, die aus der russischen Musikszene ertönt. Deutlich äußerte sich ebenfalls die Sängerin Zemfira, die rätselhafte Rock-Königin des Landes (die im Übrigen auch aus Ufa stammt). "Das Fleisch" ("The Meat") heißt ihr jüngstes Lied, es erschien als Single am 19. Mai 2022. Darin singt sie: "Es ist Frühling im Kalender, und in der Realität - Schützengräben und Raketen". Und weiter: "Es ist Mitternacht in Mariupol … Ich habe Horror-Träume jede Nacht. Wohin sind wir gekommen? Wofür sind wir da? Die Antwort werde ich lebenslang suchen. Bete für mich, bete…"

Expressive Zeichnung mit auf dem Boden liegenden Fahrrad.
"The Meat": so sieht Zemfira den Krieg gegen die UkraineBild: Youtube

Im Videoclip zum Song, der durch das textlich beschworene Endzeitszenario an "London Calling" (1979) von der Punkband The Clash erinnert, spiegeln schwarz-weiß-rote expressive Zeichnungen die Schrecken des Krieges und erinnern an die Bilder aus der Ukraine. Die Zeichnungen könnten von Zemfira und ihrer Weggefährtin, der Schauspielerin Renata Litvinova, stammen. 

Seit Kriegsbeginn hält sich Zemfira in Paris auf. In den offiziellen russischen Medien wird der Sängerin Verrat und Heuchelei vorgeworfen.

Boris Grebenshikov: Krieg gegen die Ukraine ist ein Wahnsinn

"Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist ein Wahnsinn, und diejenigen, die den entfesselt haben, sind eine Schande für Russland", heißt es kurz und bündig in der Videobotschaft von Boris Grebenshikov. Der charismatische Frontmann der Gruppe "Aquarium" ist das wohl größte Rock-Idol Russlands, generationenübergreifend.

Auch Grebenshikov hält eine Konzerttätigkeit in Russland zurzeit nicht für möglich. Er lebt in London und tritt mit Konzerten für die russischsprachigen Communitys in Westeuropa und Israel auf.

Musiker mit Gitarre, Sonnenbrille und Hut beim Konzert.
Das russische Rock-Idol Boris - "Bob" - Grebenshikov bei einem Konzert in Odessa, im August 2021Bild: Yulii Zozulia/Ukrinform/imago images

"Wenn ich Bilder von den durch Russen zerstörten ukrainischen Städten sehe, erkenne ich oft die Konzertsäle, in denen ich früher gespielt habe", sagte der Musiker im Interview mit dem russischsprachigen israelischen "Kanal 9". Die Situation in Russland sieht er aus geschichtlicher Perspektive pessimistisch: "Denken Sie an den römischen Imperator Caligula: Wenn verrückte Personen an der Macht sind, passt sich die Umgebung an. Man verkauft sein Gewissen, um es dem verrückten Herrscher recht zu machen." Russland habe barbarisch, schrecklich, auf unanständige Weise die Ukraine überfallen, so Grebenshikov. "Wenn eine Nation versucht, eine andere Nation zu vernichten, ist es Faschismus." 

Klare Worte, die aber in Russland kaum gehört werden.