Russland in Syrien: Gekommen, um zu bleiben
29. September 2020Am 30. September 2015 hatte Russland eine Militäroperation in Syrien angekündigt. Das Ziel, so Präsident Wladimir Putin damals, sei die Bekämpfung der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Es wurde bis heute der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen.
Sieg über den IS und Machterhalt für Assad
Grigorij Lukjanow, Experte beim Russian International Affairs Council (RIAC) und Dozent der Höheren Wirtschaftsschule (HSE) in Moskau, glaubt, Ziel der Operation sei tatsächlich der Kampf gegen den Terrorismus gewesen, so wie Putin es gesagt habe. Und das sei erreicht worden: "Es ist ein Sieg über den IS", sagt Lukjanow. Er vergleicht Russlands Hilfe für Syrien mit der US-Unterstützung für den Irak: "Es wurde ein Projekt gestoppt, das alle Staatsgrenzen in der Region in Frage stellte." Ohne den russischen Einsatz, so Lukjanow, würde es den syrischen Staat als solchen nicht mehr geben und Präsident Baschar al-Assad stünde nicht an dessen Spitze. Dem Einsatz sei ein Hilferuf Assads vorausgegangen. Doch habe Moskau den Krieg nicht schnell beenden können, räumt Lukjanow ein.
Markus Kaim, Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), glaubt ebenfalls, dass Russland seine Ziele in Syrien erreicht hat. Doch er sieht zum Teil andere Zwecke: "Das erste Ziel war eine Rückkehr in den Nahen Osten. Russland hat sich nach dem Ende der Sowjetunion dort als Gestaltungsmacht verabschiedet, und ist jetzt zurück. Das sehen wir nicht nur in Syrien, sondern auch in Libyen. An Russland führt kein Weg vorbei." Das zweite Ziel sei gewesen, die "als illegal empfundene Revolution in der eigenen Nachbarschaft" zu verhindern, also den Versuch der Opposition, Assad zu stürzen. Im Herbst 2015 sei ein Zusammenbruch des Regimes innerhalb weniger Wochen erwartet worden, erinnert sich der Experte und fügt hinzu: "Das dritte Ziel war, unter Beweis zu stellen, dass Russland zu Expeditionsoperationen militärischer Art in der Lage ist. Auch das ist gelungen. Viele neue Waffensysteme sind ausprobiert und erfolgreich getestet worden."
Die russische Führung hatte wiederholt erklärt, in Syrien moderne Waffen zu erproben. Unter anderem ist bekannt, dass dort der neue Kampfpanzer T-14 Armata und neue Systeme für die Luftstreitkräfte getestet wurden.
Diplomatische Dividende des Militäreinsatzes
Beide Experten finden, der Syrien-Einsatz habe die Position Russlands in der Region gestärkt. "Die Präsenz in Syrien ist ein Grundstein für die gesamte russische Politik im Nahen Osten und in Nordafrika", sagt Grigorij Lukjanow. Dies gelte für die neuen Beziehungen zu den Ländern der Region, die in Russland einen neuen einflussreichen Akteur sähen, aber auch für neue Gesprächsformate wie den Astana-Prozess. In diesem Rahmen erörtert Russland mit der Türkei und dem Iran die Lage in Syrien. Zwischen Moskau und Ankara gab es zudem Phasen harter Konfrontation, zuletzt Anfang 2020, als die Situation in Idlib eskalierte und türkische Militärs ums Leben kamen. Dennoch gelang es beiden Seiten, sich zu einigen.
Auch Markus Kaim meint, Russland habe "das militärische Engagement in politischen Einfluss umsetzen" können. Das Astana-Format zur Gestaltung der Nachkriegsordnung Syriens sei eine "wirksame Alternative zu dem Strang innerhalb der Vereinten Nationen, wo etwas Ähnliches angestrebt worden ist".
Doch der diplomatische Ertrag beschränkt sich auf den Nahen Osten. Zu Beginn der Operation glaubten viele Beobachter noch, Russland könne über Syrien seine teilweise internationale Isolation nach der Annexion der Krim durchbrechen und durch Zugeständnisse auf der einen Seite Vorteile auf der anderen erhalten. "Der Erfolg in Syrien hat in Bezug auf die Ukraine keine Fortschritte gebracht", betont Lukjanow. Die wichtigste Errungenschaft seien die neuen Beziehungen zu den Ländern der Nahost-Region. Es sei aber nicht gelungen, Syrien dazu zu nutzen, das Verhältnis Moskaus zum Westen zu regeln.
Eine Frage des Preises
Wie viel der Militäreinsatz in Syrien bisher gekostet hat und weiterhin kostet, ist nicht genau bekannt. In den russischen Medien wurde anfangs von 156 Millionen Rubel pro Tag (ca. 1,7 Millionen Euro) gesprochen. Die militärischen Verluste waren nicht allzu groß und sorgten in der Öffentlichkeit, anders als nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979, kaum für Unmut. "Die afghanische Erfahrung wurde berücksichtigt", sagt Lukjanow und betont, dass "der Preis insgesamt als akzeptabel erschien". Dennoch verbrauche der Syrien-Einsatz russische Ressourcen. Zudem würden die weltweit fallenden Ölpreise und die Coronavirus-Pandemie einer schnellen Erholung der syrischen Wirtschaft im Wege stehen.
Russland dränge auf ein Engagement der EU, sagt Markus Kaim, doch sei dies zu den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu haben. "Aus internationaler oder westlicher Sicht ist die humanitäre Lage in Syrien nach wie vor bedrückend", fügt er hinzu. Die zivilen Opfer, beispielsweise bei der Erstürmung von Aleppo, sorgten im Westen für massive Kritik am russischen Vorgehen. Moskau wies damals alle Vorwürfe von sich.
Russland erweitert Stützpunkt in Hmeimim
Beide Experten sind sich darin einig, dass Russland auf absehbare Zeit das derzeitige Bürgerkriegsland nicht mehr verlassen wird. Ansonsten würden "einige mit den Ländern der Region getroffenen Vereinbarungen bröckeln", so Lukjanow. Kaim ist überzeugt, dass Moskau in Syrien militärisch gebunden bleiben wolle und das Land als Außenposten russischen Einflusses betrachte.
In der Tat hat der Kreml im August mit Syrien vereinbart, ein zusätzliches Stück Land in der Nähe des Luftwaffenstützpunkts Hmeimim zu bekommen - für eine neue russische Basis neben dem schon seit Sowjetzeiten bestehenden Marinestützpunkt im Hafen von Tartus.