Schneller, einfacher und billiger als Tierversuche
23. August 2005DW-WORLD: Es heißt, dass Tierversuche vor allem bei der Entwicklung von Arzneimitteln bisher unerlässlich sind, weil ihre Unbedenklichkeit für den Menschen bisher nicht ohne Tierversuche nachgewiesen werden kann. Wie beurteilen Sie diese Aussage?
Heinz Brandstetter: Es gibt eine Reihe von gesetzlichen Vorschriften, die besagen, dass jede neue Substanz, die in die Umwelt freigesetzt wird, im Hinblick auf ihre Sicherheit oder potenzielle Schädlichkeit getestet werden muss. Das gilt für alle Substanzen und Chemikalien, auch für jene, die normalerweise nicht in Kontakt mit dem Menschen kommen - es vielleicht bei Unfällen aber kommen könnten. In vielen Fällen kommen dafür im Moment nur Tierversuch in Frage - ob das eine Firma oder ein Wissenschaftler gut findet oder nicht. Andererseits liegt hierin auch ein großes Potenzial bei der Suche nach Ergänzungsmethoden: Da diese Tests in der Regel immer wieder in der gleichen Art und Weise gemacht werden, lohnt sich der Aufwand, auf die Suche nach einer Ersatzmethode zu gehen.Welche Ersatzmethoden gibt es bereits?
Zum Beispiel gibt es einen bestimmten Gentest, der prüft, ob Medikamente rein genug sind. Wenn Medikamente einem Tier oder einem Menschen verabreicht werden, darf es nicht zu Fiebererscheinungen kommen. Zu denen kommt es immer dann, wenn Unreinheiten in den Medikamenten enthalten sind - bakterielle Verunreinigungen oder Fremdstoffe. Darauf reagiert der Körper mit Fieber. Es gibt mittlerweile einen eigenen In-vitro-Test, der inzwischen auch offiziell von den Behörden anerkannt ist. Man testet anhand von Blutzellen aus einer Krebsart das Medikament auf Verunreinigungen. Das Ganze hat nicht nur den großen Vorteil, dass man nicht mehr am Tier diese Untersuchungen durchführen muss, sondern es geht schneller, einfacher und billiger.
Können solche Alternativmethoden Tierversuche gänzlich ersetzen?
Gänzlich geht das nicht. Die Entwicklung von Ergänzungsmethoden basiert letztendlich auch auf Ergebnissen von Tierversuchen. Davon ausgehend entwickelt man dann neue Tests und vergleicht, ob sie die gleiche Aussagefähigkeit bringen wie die Tierversuche. Ist dem so, ist es allerdings nicht ganz einfach, die zuständigen Behörden davon zu überzeugen, dass ein neuer Test genauso gut ist wie ein bewährter Tierversuch, mit dem man seit vielen Jahren arbeitet.
Wo liegt das größte Hemmnis bei der Durchsetzung alternativer Methoden?
Das größte Hemmnis ist die Anerkennung, denn wenn man erstmal einen Alternativtest hat, geht vieles schneller und billiger. Man kann die Medikamente schneller entwickeln oder freigeben. Da besteht ein hohes Eigeninteresse in der Forschung selbst, in den Universitäten, wie bei den Firmen, die Medikamente entwickeln. Tierversuche gehören zu den aufwändigsten und teuersten Verfahren, daran hat niemand ein ernsthaftes Interesse.
Aber der Verbraucherschutz hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Sie müssen nachweisen, dass ein Test auch wirklich in der Lage ist, einen Tierversuch, der dem Menschen wegen des kompletten Organismus erheblich näher kommt als ein Reagenzglastest, zu ersetzen. Denn eines darf nicht passieren: Dass man nach fünf Jahren feststellt, dass einem - salopp gesagt - etwas durch die Lappen gegangen ist. Da haben die Politik und die Behörden eine sehr hohe Verantwortung.
Seit November 2004 gilt innerhalb der EU ein Verbot für Tierversuche für kosmetische Fertigprodukte. Sind Tierversuche in der Kosmetikbranche innerhalb der EU damit passé?
Für die Entwicklung von Kosmetika dürfen nach deutschem und europäischem Recht keine Tiere eingesetzt werden. Allerdings bestehen die Kosmetika aus Substanzen, die getestet werden müssen. Die EU ist jedoch dabei, im Kosmetikbereich nach Möglichkeit alle Tests durch tierfreie Methoden ersetzen zu lassen.
Parallel läuft das so genannte REACH-Programm der EU. Dabei sollen Alt-Chemikalien, die schon seit Jahrzehnten auf dem Markt sind, nachgetestet werden. Weil man vor 30, 40 Jahren noch nicht so viele und so gute Tests wie heute hatte. Das sieht der Verbraucherschutz in der EU problematisch. Denn das würde eine starke Zunahme von Tierversuchen bedeuten, die per Gesetz durchgeführt werden müssten. Da haben alle - auch die Industrie - ein großes Interesse, dass man das nicht tun muss oder zumindest Methoden findet, die keine Tierversuche bedingen.
Dr. Heinz Brandstetter ist Leiter der Tierhaltung und Fachtierarzt für Tierschutz und Versuchstierkunde am Max-Planck-Institut für Biochemie. Er ist einer der rund 850 Teilnehmer des 5. Kongresses über Alternativmethoden zu Tierversuchen, der derzeit in Berlin stattfindet.