Eine Umweltministerin tritt aus dem Schatten
3. Juli 2021Svenja Schulze steht etwas verloren inmitten der gigantischen Industrie-Kulisse im Stahlwerk von thyssenkrupp in Duisburg in Nordrhein-Westfalen. Inmitten einer Landschaft von Hochöfen und rostigen, kilometerlangen Rohren: Zehn Quadratkilometer groß ist der Komplex, eine kleine eigene Stadt mit eigener Stromversorgung und Hafenanschluss: das größte Stahlwerk Europas. 11 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr werden hier aus Eisenerz produziert. "In der Fläche sind wir fünf Mal so groß wie Monaco", hat eben ein Firmensprecher stolz verkündet.
Raus aus der Kohle, nicht aus dem Stahl
Schulze, die Bundesumweltministerin, ist hierher gekommen, um so etwas wie die nächste Stufe des Klimaschutzes in Deutschland zu verkünden. Die Stahlproduktion, immer noch allein für fast ein Drittel alle Industrie-Klimagase in Deutschlands verantwortlich, soll nachhaltig werden. Statt mit Kohle, die längst nicht mehr aus Deutschland stammt, sondern aus vielen Ländern aus der ganzen Welt nach Duisburg importiert wird, soll das riesige Werk in den nächsten Jahren auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Also auf Wasserstoff, der seinerseits mit erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne hergestellt wird.
Der Stahlstandort soll bleiben
Die Botschaft: Deutschland verzichtet nicht auf die Stahlproduktion, aber Deutschland verzichtet auf die Kohle. Umweltschutz und Industriepolitik: Das geht für die Sozialdemokratin Schulze zusammen: "Wir wollen ja nicht nur nachhaltigen Stahl produzieren, sondern wir wollen auch, dass er hier in Deutschland genutzt wird, dass die Autos der Zukunft mit CO2-freien Stahl gebaut werden."
Gebe man den Standort auf, dann würde woanders auf der Welt, etwa in Singapur, Stahl produziert. Nordrhein-Westfalen, früher einmal die Herzkammer der arbeitnehmerfreundlichen SPD, hat in den letzten Jahrzehnten viele Arbeitsplätze vor allem im Bergbau verloren. Das hat die SPD Stimmen gekostet. Das soll nicht noch einmal passieren.
Einige Unsicherheiten beim Wasserstoff
Man könnte also auch sagen: Die Botschaft Schulzes an die immer noch rund 13.000 Beschäftigten hier im Werk lautet: Auch wenn Deutschland jetzt richtig ernst macht mit dem Klimaschutz, sind eure Jobs sicher. Ein paar Unsicherheiten lächelt die Ministerin weg. Ob schon in wenigen Jahren genug grüner Wasserstoff vorhanden ist, bezweifeln viele Experten. Aber Schulze will sich jetzt nicht von ihrem Plan abbringen lassen. Zwei Milliarden Euro stehen in ihrem Ministerium zur Verfügung für die Förderung von grünem Wasserstoff als Energiequelle. Die Manager von thyssenkrupp nehmen erfreut zur Kenntnis, dass sie jetzt einen Förderantrag stellen dürfen. Der Umbau der Industrie in Deutschland Richtung Nachhaltigkeit: er gleicht einer Mondlandung. Aber darunter macht es Svenja Schulze nicht mehr. Sie drängt zur Eile und spricht die Manager direkt an: "Ich weiß nicht, wie viele Jahre Sie hier brauchen, diese Anlage umzubauen, aber ich denke, das braucht schon so zehn bis 15 Jahre. Also müssen wir jetzt starten. Deshalb ist es so wichtig, jetzt keine Zeit mehr zu verlieren."
Vom Schattendasein ins Zentrum der Aufmerksamkeit
Vor gut dreieinhalb Jahren, als Svenja Schulze, 52 Jahre alt und aus Münster stammend, Umweltministerin wurde, war nicht abzusehen, dass es zum Ende ihrer ersten Amtszeit so rasant vorangehen würde mit dem Klimaschutz. Lange führte die Ministerin eher ein Schattendasein in der Regierung und musste mühsam kämpfen, um etwa den Ausstieg aus der Kohle-Verstromung im ganzen Land bis 2038 durchzusetzen.
Auch das hielten viele Umweltaktivisten für viel zu spät. Und die Regierungspartner von CDU und CSU blockierten Schulzes Pläne für einen ambitionierteren Klimaschutz. Aber dann gab es Hilfe von außen. Erst kam die weltweite Jugendprotestbewegung von Fridays for Future mit ihren Demonstrationen, die dem Thema Klimaschutz auch in Deutschland auf die Sprünge halfen.
Ein Gerichtsurteil verändert alles
Und schließlich das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April diesen Jahres. Damit die Grundrechte künftiger Generationen gewahrt blieben, müsse Deutschland seine Klimaziele deutlich nachbessern, urteilten die Richter. Ein später Triumph für Schulze. Eilig beschloss die Regierung ein neues Klimaschutzgesetz, mit deutlich schärferen Zielen: Bis 2045, nicht wie bislang erst 2050, soll das Land klimaneutral sein. Und vor allem: Das Klimaziel für 2030 steigt um 10 Prozentpunkte auf mindestens 65 Prozent. Das heißt, Deutschland soll bis zum Ende des Jahrzehnts seinen Treibhausgas-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringern. Das hat Folgen für alle Bereiche, die jetzt gesetzlich verpflichtet werden, ihre Ziele anzupassen: Die Energiewirtschaft, die Industrie, der Verkehr, die Gebäude, auch die Landwirtschaft.
"Natürlich möchte ich Umweltministerin bleiben."
Schulze hat im Moment richtig Spaß an ihrem Amt. Im September sind Bundestagswahlen, jetzt sagt die SPD-Politikerin der DW: "Klar würde ich gern Umweltministerin bleiben. Das ist eine tolle Aufgabe, bei der man sehr viel bewegen kann. Ich hoffe, dass sich sehr viele Wähler für Olaf Scholz entscheiden und dass wir eine SPD-geführte Regierung bekommen." Olaf Scholz also, der Kanzlerkandidat der SPD und derzeitige Finanzminister.
Aber trotz der Glücksträhne für Schulze in ihrem Amt spricht wenig dafür, dass sie Ministerin bleiben kann. In der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest-dimap liegen die Sozialdemokraten mit 15 Prozent weit hinter den Grünen und der Union von CDU und CSU. Viele Beobachter gehen davon aus, dass es nach der Wahl zu einer Koalition von CDU, CSU und Grünen kommt.
Sehr dichte dreieinhalb Jahre
Aber davon will sich Schulze nicht abschrecken lassen. Von Duisburg aus fährt sie nach Köln, die dortigen Verkehrsbetriebe nehmen neue Elektrobusse in Betrieb, auch da will sie dabei sein. Der Klimaschutz, so die Botschaft, durchdringt jetzt alle Bereiche. Am Anfang ihrer Amtszeit hat Schulze, die zuvor in Nordrhein-Westfalen Politik für die SPD gemacht hat, stark gefremdelt mit dem harten Regierungsalltag in der Hauptstadt Berlin. Jetzt nicht mehr. Aufregend fand sie ihre bisherige Zeit als Ministerin, wie sie der DW erzählt: "Ich fand das eine sehr dichte Zeit, sehr viele Dinge auf einmal. Und dann auch noch die Pandemie, die nicht mehr die Möglichkeit geboten hat, mit den Menschen direkt in Kontakt zu kommen. Das Meiste ging nur digital. Gut, dass das ging, dass wir überhaupt weiterarbeiten konnten. Aber es hat wirklich Druck in die Sache gebracht."
Aber mit Druck umzugehen, hat die Sozialdemokratin Svenja Schulze in Berlin gelernt. Sie kandidiert jetzt für den Bundestag. In den letzten dreieinhalb Jahren war sie eine Ministerin ohne Mandat. Die hauchdünne Chance, vielleicht doch weiter machen zu können mit der Mondlandung Klimaschutz, will Schulze jedenfalls nicht verstreichen lassen.